Wir lernen hier in den USA gerade eine sehr schmerzliche Lektion: Demokratie ist nicht garantiert, sie muss verteidigt und verdient werden. Nur wie tut man dass, wenn man seit Generationen in dem (leider falschen) Glauben lebt, dass es zwar Schwingungen nach rechts und links geben wird, aber fundamental alles okay ist und beim Alten bleibt?
Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach und die Umsetzung noch weniger. Was wir hier momentan erleben ist eine breite Mobilisierung des Teiles der Bevölkerung, die ihr Gehirn zum Denken benützen und nicht, wie mein Vater mir früher öfters vorgeworfen hat, um den Friseur reicher zu machen.
Wir marschieren, demonstrieren, mailen unseren Abgeordneten, rufen unsere Senatoren an, treffen uns mit Gleichgesinnten, gehen zu den lokalen Büros unserer Politiker und beschwören den Widerstand. Resist – also “widerstehe” ist das Wort, dass an jeder Ecke auftaucht. Aber was dann? Wohin mit der Energie? Was tun mit dem neugefundenen politischen Bewusstsein? Wohin, wenn es niemanden gibt, der das alles auffängt, strukturiert und kanalisiert. Wohin, wenn es niemanden gibt, der die Bewegung führt.
Wie geht aktive Demokratie nochmal?
Zwei Wochen lang schien mir gar nichts zu gehen. Wir trafen uns und schauten uns nur hilflos an und fragten einander “was machen wir jetzt?”. Dann nahmen wir unsere Pinsel und fingen and Schilder zu malen oder unsere Computer und fingen an emails zu schicken. Ich hab in fast 20 Jahren in den USA noch nie “meinen” Abgeordneten kontaktiert, mittlerweile könnte man den Eindruck gewinnen Ro Khanna und ich seien die besten Freunde, so oft mailen wir uns.
Hat es geholfen? Nach aussen hin nicht: Betsy DeVos wurde Erziehungsministerin und ein Rassist ist jetzt Justizminister. Aber etwas hat sich geändert: unsere Senatoren und Abgeordneten haben angefangen uns zu hören. Diane Feinstein, eine unserer beiden Senatorinnen hat noch für Ben Carson gestimmt aber eine Woche später war mit Beschwichtigung aus: kein einziger Demokrat hat mehr für Betsy gestimmt und nur einer für Sessions (Justiz) – und der wird sein Fett in der nächsten Wahl abkriegen. Abgeordnete, selbst im tief-republikanischen Texas und Utah hatten townhall meetings (mehr oder weniger Frage und Antwortstunde mit den Wählern in ihren Bezirken) und sind von ihren Wählern, die in unglaublicher Zahl erschienen sind, ausgebuht und mit schwierigen Fragen überschüttet worden. In ein paar Fällen haben sie sich wohl nur noch dadurch zu helfen gewusst, dass sie die Treffen abgebrochen haben. Man hört immer wieder, dass Büros mit Anrufen, Emails und sogar Faxen überschüttet wurden, 10x soviel wie normal.
Eine Struktur muss sich erst bilden
Langsam aber sicher formiert sich eine Struktur, noch sehr zaghaft, aber sie zeichnet sich ab. Bernie Sanders ist nach wie vor einer der lautesten und konsistentesten Stimmen, Elizabeth Warren, die Senatorin auf Massachusetts, und Robert Reich, der unter Ford, Carter und Clinton (dort war er Minister für Arbeit) gearbeitet hat. Juristen widersetzen sich und Bewegungen nehmen Form an. Gestern Abend habe ich an einem Konferenzgespräch (na ja, eher zuhören als reden) der brandneuen Organisation Swingleft teilgenommen, sie versuchen Wähler in demokratischen Bezirken mit Leuten in knapp republikanischen zusammenzubringen um bei der nächsten Wahl das Haus zurückzugewinnen. 17.000 Leute haben zugehört, sie hatten mit 20.000 Registrierungen auf ihrer Webseite gerechnet und hatten innerhalb von ein paar Tagen 300.000. Ehemalige Mitarbeiter von demokratischen Politiker haben einen Leitfaden verfasst, der erklärt, wie die Tea Party so viel Macht bekommen hat. Zwar können wir sie nicht ausstehen, aber wir können von ihnen lernen.
Es braucht Zeit, um aktive Demokratie zu lernen und umzusetzen. Strukturen müssen geschaffen werden, Organisationen gebildet werden, das schafft man nicht von heute auf morgen. Wir müssen erst wieder lernen unsere Demokratie, die uns so sicher und selbstverständlich schien, zu verteidigen.
Ich hoffe nur, dass ihr Europäer, die ihr entsetzt über den Atlantik schaut, die eigentliche Moral von der Geschichte versteht, nämlich, dass Demokratie nicht garantiert ist, sie muss gepflegt werden und kann schneller durch Populisten in Gefahr kommen, als man sich das hätte träumen lassen. Eine Lektion, die Deutschland einmal gelernt – und hoffentlich nicht vergessen hat.
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