Wenn ich mal wieder so richtig aufrege über das Silicon Valley und die Schnauze voll habe von $5 Joghurts, Verkehrsstaus, überdimensionierten Bauvorhaben an jeder Ecke und der überheblichen Annahme, dass man eigentlich nur als Ingenieur, am besten natürlich als CE – computer engineer/Computer-Fachmann – was Wert ist, von Politik, den krampfhaften Überlegungen, was ich den noch tun kann, damit mein Sohn in die richtige High School kommt, damit er an die richtige Uni kommt und einmal einen dieser Ingenieursjobs bekommt, und ständigem Ärger mit den Telefon/Kabelanbietern, dann denke ich mir: ich brauch ein einfacheres Leben. Dann denke ich an Konstanz.

Ein einfacheres Leben

Konstanz im Abendlicht. Bild: meins

Jetzt bin ich hier und muss leider feststellen: so einfach ist das hier auch nicht mehr.  Früher ja, da wars noch einfach aber heute gibt es hier jede Menge überdimensionierten Bauvorhaben an jeder Ecke, Verkehrschaos, und jede Menge Ärger mit Telefon- und Kabelgesellschaften und vermutlich auch mit Banken, Krankenkassen und solchen Dingen wie Meldepflicht, etwas was es in Amerika nicht nur nicht gibt sondern absolut nicht im Bereich des Denkmöglichen fällt.  Allerdings muss ich sagen, dass mit der Schule und den Joghurts ist hier schon deutlich besser.

Vielleicht liegt es am Alter, obwohl ich eigentlich eher ungern zugeben möchte, dass ich in dem Alter bin, in dem es am Alter liegen kann. Aber vielleicht liegt es daran, dass man auch hier mittlerweile Komplexität als Auswahl untergejubelt bekommt- eine Auswahl, die man eigentlich gar nicht nützt oder will, aber eben auf den ersten Blick gut aussieht. Das Beispiel Telefon/Kabelanbieter fällt mir ein, weil wir gerade darüber gelästert haben. Klar, haben wir früher gemotzt, als es die Telekom gab und einen Tarif und wir fühlten uns verarscht, dass es keine besseren Auswahlmöglichkeiten gab.  Heute gibt es zig Anbieter mit jeweils 37 verschiedenen Tarif-Paketen, man braucht mindestens einen Wochenendkurs im Verträgelesen, um da halbwegs durchzukommen und im Endeffekt gibt es immer noch kein Angebot, dass einem wirklich passt, weil man bei allen irgend einen Blödsinn untergeschoben kommt oder das, was man wirklich will, nicht inbegriffen ist.

Was für Telefonanbieter gilt, gilt auch für Kleineres, z.B. Müsli.  Und da ist es hier in Deutschland schon noch besser.  Es gibt sicher bei Edeka um die Ecke nur ein Drittel des Muesli-/Cerealien Angebots wie bei Safeway in Sunnyvale – aber es gelingt mir trotzdem, davon überwältigt zu werden. Drüben stehe ich vor dem Riesenregal und vergleiche den a) den Zuckergehalt, denn oft ist das “Vollwert, super Omega-3 Fett” Müsli zuckermässig keinen Deut besser als die Zimtzuckerkugeln und b) den Preis, denn die Zimtzuckerkugeln gibt es von Kellogs und von Quaker Oats und ausserdem noch eine Hausmarke und alle sind in verschiedenen Grössen vorhanden und manche manchmal im Sonderangebot und da kommt bei mir dann doch wieder die süddeutsche Hausfrau durch: ich zahl doch nicht mehr für die blöden Zimtzuckerkugeln, als ich unbedingt muss – also wird verglichen.

Hier gibt es mittlerweile auch einen ganzen  (halben kurzen) Gang mit Cerealien, gleich links, wenn man bei der Schlagsahne scharf abbiegt. Da steh ich davor und frag mich, was nun besser schmeckt/ist: 7 Korn oder 9 Korn, mach Dinkel dick, ist Vollkorn gleichbedeutend mit Ballaststoff und ist 7-Korn eigentlich Vollkorn oder eben nur 7 Körner? Gehören Kürbiskerne wirklich ins Müsli, sind Rosinen nicht nur einfach viel Zucker und wie viele von den getrockneten Himbeeren sind da tatsächlich drin? Wenn’s viele sind ist das dann gut, wegen Ballaststoffe oder schlecht wegen Zucker? Vermutlich ist es im Endeffekt scheissegal, ob man das 7-Korn mit erntefrische getrockneten Himbeeren oder das Dinkel-extra mit Waldheidelbeeren nimmt, die haben ungefähr gleich viel Zucker, Ballaststoff und kosten ungefähr das Gleiche. Klar, toll soviel Auswahl zu haben – irgendwie – aber dann macht es alles auch nicht leichter.

Ein einfacheres Leben  scheine ich hier auch nicht zu finden

Je länger ich in Konstanz bin desto mehr realisiere ich: das Leben ist hier auch nicht einfacher.  Oder zumindest, das Leben hier ist auch nicht einfacher für Leute wie mich, die die Tendenz haben, zu viel tun zu wollen und dass dann auch noch zu verkomplizieren.

ein einfacheres Leben

Die Streuobstwiese: Zeichne eines einfacheren Lebens oder nur ein Haufen Arbeit fuer ein bisschen Apfelsaft? Bildquelle

Das wurde mir klar, als eine Freundin erzählte, sie würden jetzt auf’s Land ziehen, weit genug vom Trubel, der Wohnungsnot und den überfüllten Läden entfernt: Friede, Ruhe, ein Supermarkt nicht zu weit weg, Streuobstwiese vor dem Wohnzimmer.  Klingt gut, dachte ich, möchte ich auch.  Szenen in denen ich mich friedlich lesend auf einer Terrasse sitzen oder Streuobst für Most sammelnd über die Wiese schlendern sah, Bilder mit knisternden Kaminfeuer und selbstgezogenen Tomaten drängten sich mir auf.  Ruhe. Frieden. Ein einfaches Leben.

Die Realität hatte mich dann schnell wieder: wieso glaube ich eigentlich, dass ich friedlich lesend auf der Terrasse sitzen würde, wenn ich nie friedlich lesend im Garten in Sunnyvale sitze? Streuobst sammeln ist sicher die Hölle für meinen Rücken und wo bitte schön, wär denn da der nächste regelmässige Flohmarkt, ein Baumarkt und ist die Internetverbindung gut?  Gibt es da einen guten Thailänder in der Nähe und überhaupt, was ist mit Sushi? Zum nächsten Flughafen ist es sicher super-umständlich.

Die schockierende Erkenntnis war: ich brauch nicht ein einfacheres Leben, ich brauch ein einfacheres ich.

Oder vielleicht doch beides?