Nazi-Marsch komplett mit Hakenkreuzfahne
Meine Grossmutter väterlicherseits war eine lebenslange Sozialdemokratin, die ihren Kindern den Hitlergruss verboten hat und nie in der Partei war. Ich erinnere mich an meine Teenagerjahre, als ich sie gefragt habe “Wie konnte das mit den Nazis passieren? Wieso habt ihr Euch nicht mehr gewehrt? Wieso haben so viele Menschen einfach zugeschaut?” Ich habe damals keine Antwort bekommen, die das für mich erklärt hätte. Jetzt, Jahrzehnte später, sehe ich es mit eigenen Augen passieren, hier in dem Land, das sich als Hort der Demokratie versteht/verstand (?)
In Charlottesville maschieren die Nazis. Der angebliche Anlass für den Nazi-Marsch ist dass ein Statue von General Robert E. Lee vom Campus der Uni entfernt werden soll. Lee war ein umstrittener General der Südstaaten im Bürgerkrieg und die allgemeine Tendenz geht dahin Generälen, die für die sklavenschaft-befürworteten Südstaaten gekämpft haben, keine Denkmäler mehr setzten zu wollen (und konsequenterweise die existierenden zu entfernen). Aber das war wohl nur ein Anlass für das rechte Gesindel sich zusammenzurotten und zu protestieren. Für was: weisse Vorherrschaft, keine Immigration, ein Volk, eine Nation, Blut und Boden Parolen wurden gebrüllt. “Ihr werdet uns nicht ersetzen” (you will not replace us) scheint ein Schlachtruf gewesen zu sein, der dann schnell durch den ähnlich klingenden “Jew will not replace us” – also Juden werden uns nicht ersetzen – komplementiert wurde. “Blood and soil” also wörtlich “Blut und Boden” ist auch skandiert worden.
Als Deutsche der Enkelgeneration (2 Großväter im Krieg, einer in Russland gefallen, der andere 5 Jahre nach Kriegsende and den Kriegsfolgen verstorben), die die Nazizeit von der Mittelstufe an praktisch jedes Jahr in einem Schulfach behandelt hat, die sich schauernd Bilder von Nazi- Fackelmaerschen in alten schwarzweiss Filmen angesehen hat, die ungläubig in die Glotze starrte wenn Teile von Hitlerreden gezeigt wurden und sich fragte “wie konnten die fuer diesen widerlichen, demagogischen ungebildete, hasserfüllten Verbrecher stimmen?” sitze ich jetzt hier und starre auf mein Twitter oder die Nachrichten am Internet und denke mir genau das gleiche wir damals.
Nazi-Marsch in Charlottesville. Die weisse “Herrenrasse” rottet sich zusammen.
Damals wie heute habe ich keine Antwort. Ich weiss nur, dass die Parallelen zu eindeutig sind, um sie zu übersehen. Ich weiss, dass jene, die diesen Vergleich zwischen Deutschland in den 30ern und den USA jetzt als übertreiben ablehnen ihn nicht sehen wollen und bewusst die Auge verschliessen. Wenn man hinschaut, kann man es gar nicht anders sehen.
Kleines Arschloch, grosse Waffen, Tarnanzug beim Nazi-Marsch.
Da maschieren hauptsächlich Männer schwer bewaffnet und hetzerische Parolen brüllend durch eine Stadt, die fuer ihre liberale Uni bekannt ist. Statt der “altbewährten” Fackeln tragen sie Tiki-Fackeln, wie sie in den USA gern fuer Grillfeste benützt werden. Wenn es nicht alles so schauerlich wäre, wäre dieser Aspekt sogar noch irgendwie lustig: rechte Arschloecher mit ihren Tiki-Fackeln wollen ihre rassische Überlegenheit zeigen. Natürlich ist es nicht lustig, wenn man sieht, wie diese Idioten bewaffnet sind: z.T bis unter die Zähne und in Tarnkleidung wobei zu vermuten ist, dass viele dieser selbsterklärten Kämpfer nicht einen Tag wirklich gedient haben.
Irgendwann wurde es dann ernst und die Polizei trat in voller Montur an.
Der Spuk ging gestern Abend los mit dem Fackelmarsch, sozusagen zum Vorglühen fuer den eigentlichen Marsch heute. Trotz der brüllenden, gewaltbereiten Masse war die Nationalgarde erst mal nicht zum Einsatz gekommen. Spaeter wurde sie dann gerufen maschierte in voller Montur an. Man fragt sich, wie das Ganze ausgegangen wäre, wenn es sich um eine Gruppe fackelschwingender bewaffneter schwarzer Männer gehandelt hätte. Natürlich ist das Spekulation, aber die Vermutung liegt nahe, dass es Tote in den Strassen gegeben hätte und mit aller Haerte gegen diese Gefahr fuer die öffentliche Sicherheit durchgeschnitten worden waere (ich sag da nur: Ferguson). Von Trump lange Zeit: kein Wort. Erst vor drei Stunden, also am frühen Nachmittag an der Ostküste per Twitter die erste Reaktion “We ALL must be united & condemn all that hate stands for. There is no place for this kind of violence in America. Lets come together as one!” (Wir alle müssen vereint sein und alles wofür Hass steht verurteilen. Es gibt keinen Platz für diese Art von Gewalt in Amerika. Lasst uns als eins zusammenkommen”. Komplett lauer Blödsinn, auffaelligerweise fehlt ist jede Erwähnung rechter Gewalt, die Verurteilung von Nazis und dem Nazi-Marsch. Er spricht ganz allgemein von Gewalt, was natürlich auch auf die Gegenproteste bezogen werden kann. Die rechte Kanaille fühlt sich durch solche Bemerkungen eher bestärkt als verurteilt. Und das ist ja auch das Ziel.
Nachricht im Daily Stormer, einer rechtsradikalen Veröffentlichung. Trumps Schweigen wird als Unterstützung gedeutet – zurecht.
Ich bin ja nicht religiös aber wenn ich in Charlottesville gewesen wäre hätte ich mich den Pfarrern beim Singen angeschlossen.
Eine Stunde später dann: ein weiterer Tweet, streng nach dem Trump-Motto: “genug Gerede über andere, lasst uns mal über mich reden”. Das ging so: “Am in Bedminster for meetings & press conference on V.A. & all that we have done, and are doing, to make it better-but Charlottesville sad!” (Bin in Bedminster fuer Treffen und Pressekonferenz zum Thema Veteranen Angelegenheiten (VA = Veterans Affairs ist eine Behörde, die sich speziell um die Belange von Veteranen kümmert) & alles was wir tun und noch tun werden, um es (die VA) besser zum machen – aber Charlottesville traurig!)
“Charlottesville traurig” – ist alles was “unser” Präsident zum Thema Nazi-Marsch und Gewalt zu sagen hat!
Kurz darauf dann noch ein Tweet in dem er über Hass, Bigotrie und Gewalt von vielen Seiten (‘hatred, bigotry and violence from many sides’) lamentiert und damit die friedlichen Gegenproteste, bei denen eine jährige Frau umgekommen ist, als ein Rassist mit dem Auto in die Menge fuhr, mit der rechtsradikalen Gewalt gleichsetzt. Sonst nichts, keine Verurteilung der rechten Gewalt, was die rechte Szene als Unterstützung und Ermutigung interpretiert.
Die Reaktionen von Politikern und anderen liesen nicht lange auf sich warten und selbst viele Republikaner, mit denen ich sonst gar nichts gemeinsam habe, haben den Nazi-Marsch verurteilt.
Jetzt, noch ein Tag später, immer noch nichts von Trump. Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sich die rechtsradikalen Gewalttäter aus ihren Löchern getraut haben. Die Parallelen zu Deutschland in den 30gern werden immer auffallender.