Ich hoffe, ihr habt alle Eueren Faust gelesen und erinnert Euch an die Gretchenfrage.

Gretchenfrage

Faust und Gretchen.
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Für die, denen es jetzt gerade momentan kurzfristig entfallen ist:  In Marthen’s Garten stellt Gretchen Faust die folgende Frage:

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ 

Faust weicht ihr aus, denn tatsächlich, er hält nicht viel davon, obwohl er es doch eigentlich besser wissen müsste, er zieht ja schliesslich mit dem Teufel um die Häuser. Wo Teufel, da Gott. Könnte man argumentieren. Aber lassen wir den Teufel mal aus dem Spiel.

Nach einer religiösen Phase so mit 13 oder 14 habe ich den Atheismus gefunden. Das Konzept Gott hat einfach aufgehört Sinn zu machen, vor allem so ein persönlicher Gott, den es interessiert was ich am Freitag esse, oder ob ich meine Eltern angelogen habe, oder nachts mal wieder heimlich aus dem Haus geschlichen bin (Dad, wenn Du das liest, war nicht arg oft, ehrlich). Im Laufe der Jahre wurde Religion für mich immer absurder, dieses ganze für-unsere-Sünden-sterben, dieser zornig Gott, der eifersüchtig angebetet werden will und zwar nur er allein, kein anderer ist einfach zu absurd – und viel zu menschlich (und obendrein noch ein Mensch, mit dem ich nichts zu tun haben möchte).

Von der Kirche und was die sich über die zwei Jahrtausende so geleistet hat will ich mal gar nicht reden.

Irgendwann, nach dem Studium einer Naturwissenschaft und dem damit einhergehenden Fokus auf Fakten und Beweise habe ich dann die Gretchenfrage für mich so gelöst:

  1. Es gibt keinen Gott
  2. Wenn es doch einen geben sollte gibt es folgende Möglichkeiten:
    1. Ein abstrakter Gott, so eine Art Urprinzip, etwas, dass alles angestossen hat. Dem oder der geht es am Arsch vorbei, was ich Freitags esse, wen ich liebe und ob ich nachts aus dem Haus geschlichen bin. Kann man getrost gebetstechnisch und wenn’s um Verhaltensregeln geht ignorieren.
    2. Ein Schöpfergott, der das Universum geschaffen hat und damit die Evolution in Gang gesetzt hat (an der Evolution zweifle ich keine Sekunde, nicht mal ein Millisekunde). Vielleicht wollte sie/er die Menschen so wie sie sind (wär schön blöd) oder wir sind ein Nebenprodukt, oder ein interessantes oder auch nicht so interessantes Experiment. Wiederum ist mein Essverhalten und Liebesleben nicht von Belang für diesen Gott.
    3. Ein persönlicher, gütiger Gott, den man so nicht so oft in der Bibel findet, aber sei’s drum, der Vollständigkeit halber postuliere ich einen gütigen persönlichen Gott. Der sollte in der Lage sein Menschen aufgrund ihrer Taten und nicht aufgrund ihres sonntäglichen Kirchgangs und ihrer frommen Sprüche zu beurteilen. Wenn’s so läuft, hab ich wenig Bedenken.
    4. Den persönlichen, rach- und eifersüchtigen Gott der Bibel mit allem Drum und Dran. Mit dem will ich nichts zu tun haben, das ist kein Gott, den man anbeten sollte, sondern ein omnipotenter Despot. Hallo Hölle, ich komme! Die Ferne von diesem Gott ist ein erstrebenswerter Zustand, keine Strafe.

In diesen Überlegungen bin ich immer davon ausgegangen, das der Gott, an den ich nicht glaube, ein einziger Gott sein muss. Dass ich also eine Anti-Monotheistin bin. Hauptsächlich weil Polytheismus so mit Zeus und entführten Jungfrauen und eifersüchtigen Ehefrauen und Halbgöttern noch lachhafter erscheint.

Dann passierte das mit der Ameise. 

Ich hab eine alten riesig-grossen Überseekoffer mit dem ich schon immer “irgendwas” machen wollte. Neulich fiel mir irgendwas ein: ich mach daraus einen Koffer für die Antikmärkte, auf denen ich verkaufe, sozusagen ein Regal in Kofferform. Da das Teil völlig daneben war, ab ich angefangen alte Stoffbespannungen herauszureissen und dann das Ganze sauber weiss auszumalen. 

Beim Malen kam mir immer wieder eine blöde Ameise in die Quere. Ich hab sie mehrer Male verscheucht und hab versucht sie zu retten, aber sie lief immer wieder quer an meinem Pinsel vorbei. Irgendwann war es mir zu blöd und ich hab das Teil übermalt. Ich hatte ein vages schlechtes Gewissen, aber keine schlaflosen Nächte, wegen das Ameisenmordes. 

Das Erlebnis hat mich allerdings zu folgender Überlegung gebracht: das wahrscheinlichste Gottszenario ist doch das, in dem wir die Ameisen sind und irgendwo in einer anderen Dimension, die wir genauso wenig verstehen, wie die Ameise mein Überseekofferanmalen, existieren andere Daseinsformen. Die Menschen im Ameisenbeispiel. Wir sehen sie nicht, genauso wenig, wie die Ameisen uns “sehen” und verstehen tun wir sie ohnehin nicht. Vielleicht beobachten sie uns, wie Menschen manchmal Ameisen beobachten, die herumwuseln nachdem man in ihrem Bau herumgestochert hat (nein, sowas mach ich nicht, siehe 2c).

Ich meine, welchen Sinn macht eine solitäre omnipotente Existenz? Viele machen doch viel mehr Sinn, so wie die Q in Star Trek. Ob man die nun Aliens nennt, oder Götter oder was auch immer ist eigentlich egal, im Endeffekt wäre es eine extrem fortgeschrittene Daseinsform, die wir nicht verstehen, die uns aber gelegentlich absichtlich oder unabsichtlich Schaden zufügt.

Nein, ich bin nicht unter die Verrückten gegangen. Ich weiss nicht, ob es diese Götter gibt und im Endeffekt ist es auch egal, da wir sie ohnehin nicht verstehen könnten und mit ihnen genauso wenig kommunizieren könnten, wie die Ameise mit mir. 

Ich bin nach wie vor Atheistin aber eben eine von der Sorte, die sagt: wenn schon dann Götter, nicht Gott. Das macht mindestens noch irgendwie Sinn, und die Grundprämisse bleibt bestehen: man sollte ein guter Mensch sein aus Einsicht und Mitgefühl, nicht weil ein Gott drohen über einem steht, weil man am Freitag ein Schnitzel verdrückt hat.