Jedes Mal, wenn ich nach Europa/Deutschland/Konstanz komme erleben ich eine Verschiebung der Perspektive. Plötzlich sind ganz andere Dinge wichtig und präsent, über die ich seit Monaten nicht nachgedacht habe. Die veränderte Geographie verändert auch die Perspektive.
Wenn ich mal ganz ehrlich bin, muss ich eingestehen, dass ich im Laufe einer Woche in Sunnyvale selten/gar nicht darüber nachdenke, was in Deutschland innenpolitisch so abgeht, wer gerade in Polen regiert und ob man diesen Winter in Deutschland lila oder petrol zu tragen hat. Die letzten Nahrungsmittelskandale (scheint ja alle paar Monate einen neuen zu geben) verpasse ich genauso wie jedwede Erkenntnisse darüber, wo die Deutschen dieses Jahr am liebsten Urlaub machen. Ausserdem scheint es jedesmal wenn ich hier her komme irgendwelche Ausdrücke zu geben, die ich nicht kenne. Bis ich mitgekriegt hatte was “das kannst Du Dir knicken” bedeutet hat es Jahre gedauert.
So nebenher:
Momentan fasziniert mich die deutsche Obsession mit dem Anglizismus shitstorm – klar verwenden wir den Ausdruck auch, kommt ja wohl aus den USA, aber ich glaube ich hab das Wort in zwei Spiegel-Ausgaben häufiger gelesen als in den letzten 5 Jahren zusammen in den USA.
Gute Vorsätze – das ganze Jahr lang
Jedesmal wenn ich hier bin denke ich mir: so, wenn Du wieder in Kalifornien bist tust Du ganz brav mindestens einmal die Woche Spiegel am Internet lesen und hin und wieder schaust Du auch noch mal in den Südkurier rein. Dann weisst Du auch wieder, wie der deutsche Innenminister heisst und ob die Italiener mal wieder eine neue Regierung haben und wann der Reichenauer Flohmarkt ist, den ich auch liebe, allerdings nicht ganz so sehr wie den Konstanzer. Ist ja heutzutage alles kein Problem mehr, mit Internet.
Das geht dann so eine Woche gut aber dann wird es immer schwieriger, sich darauf zu konzentrieren was so weit weg passiert, auch wenn es ja immer noch ein Stück zu Hause ist.
Umgekehrt ist es ähnlich. Wenn ich länger hier bin kommt sind plötzlich andere Themen wichtig (momentan ist eine Ausnahme, da die Trump-Wahl die Medien auch hier so dominiert). Was in Mexiko los ist, ist plötzlich irgendwie komplett irrelevant, dafür liest man plötzlich etwas über Ungarn, oder Kroatien – beides Länder (mit vielen anderen) über die ich in den USA niemals etwas lesen würde (zufällig eh nicht, man muss schon suchen, um Nachrichten aus diesen Ländern zu finden). Ausser wenn es Terroranschläge oder Erdbeben oder eine radikale neue Regierung gibt dringt nichts aus diese und viele anderen Länder über den grossen Teich. Amerikanische Innenpolitik (auch hier ist die momentane Situation wieder eine Ausnahme) interessiere mich meist (fast) nicht die Bohne, wenn ich hier bin.
Die Perspektive verschiebt sich
Macht ja alles auch Sinn – ist aber trotzdem immer wieder irgendwie überraschend wie sich die Perspektive durch einen 11 Stunden Flug verschiebt und wie schwierig es ist grosses Interesse an den Geschehnissen im jeweils anderen Teil meines Lebens aufrecht zu erhalten.
Die verschobene Geographie hingegen geniesse ich immer sehr. Genau so wie man in Sunnyvale lässig sagen kann “ich war letztes Wochenende mal eben in Los Angeles” kann man hier lässig sagen “wir waren eben mal kurz in Mailand/Amsterdam/Berlin/etc”. Für jemandem dem Reisen so viel Spass macht wie mir, ist das eine tolle Sache!