Im Englischen gibt es das Wort “regret”. Die deutsche Übersetzung ist Bedauern, was ziemlich akkurat ist, es allerdings nicht so 100%ig trifft. Regrets sind Dinge, die einem Leid tun, die man gerne ändern möchte aber nicht unbedingt kann. Regrets sind Dinge auf die man später zurückschaut und sagt “wenn ich das nochmal tun könnte ….”
Ich werde hier hauptsächlich das Wort “regret/s” benützen, da “Dinge, die mir Leid tun” etwas unhandlich ist und Bedauern es zumindest meiner Meinung nach nicht immer so ganz trifft.
Als Expat hat man ständig regrets: man verpasst Geburtstage, auch runde und halbrunde, sowie Weihnachten, Hochzeiten, Geburten, man ist nicht da, wenn jemand im Krankenhaus ist und besucht werden sollte, man verschiebt Besuche und Gespräche bei Leuten immer wieder – mach ich das nächste Mal – und verschiebt es dann wieder nur um irgendwann festzustellen, dass es kein nächstes mal mehr gibt.
Das mit dem “es gibt kein nächstes mal” ist in unserem Alter besonders akut: Leute sterben einem weg, manchmal nicht so plötzlich und manchmal völlig unerwartet. In jedem Fall hat man sich eingebildet, dass man noch eine Chance hat jemanden zu treffen und plötzlich ist das nicht mehr so. Aktueller Anlass fuer diesen Blog sind zwei Todesfälle in letzter Zeit. Einer kam nicht unerwartet, der Mann war weit über 90 aber immer fit und ich traf ihn jedesmal, wenn auch nur kurz, wenn ich in Konstanz war. Über die Familienverhältnisse bin ich mir peinlicherweise nicht so ganz klar, ein Onkel meiner Mutter, ein Grossonkel, da muss ich nochmal nachfragen. Immer wollte ich mit ihm reden: er war noch im Zweiten Weltkrieg gewesen und danach in russischer Gefangenschaft. Er hatte Geschichten zu erzählen, die hoert man heute nicht mehr. Geschichten aus einer Zeit, an die sich meine Mutter nicht mehr erinnert (“da war ich drei Jahre alt, was glaubst Du eigentlich an was ich mich von damals noch erinnere” – “okay, hast ja recht”). Es ging ihm gut, jedenfalls fuer einen über 90zig Jährigen. Ich flog zurück nach Kalifornien wie immer mit dem Vorsatz “das nächste mal ganz bestimmt, da setzt Du Dich mit ihm hin und nimmst alles auf, was er erzählt.”
Jetzt ist er tot. Bedauern – Regrets
Dann kam neulich die Email meiner Freundin mit der Todesanzeige meines Doktorvaters. Den hab ich verehrt damals als junge Diplomatin und Doktorandin. Er war kuehl, unnahbar und kritisch, aber trotzdem wollte ich niemals bei irgendjemand anderem promovieren als bei ihm. Die Grundlagenforschung und ich, stellte sich allerdings recht bald heraus, das war nicht so eine tolle Kombination und so beschloss ich, nach der Promotion nicht weiter in der Forschung zu bleiben und vor allem keine akademische Karriere anzustreben. Irgendwie hat das unsere Verhältnis verbessert, ich konnte aufhören ihn beeindrucken zu wollen und er konnte aufhören sich zu fragen, was mit dieser ungeduldigen Person aus seinem Stall, die so gar nichts mit dem ständigen wiederholen von Experimenten am Hut hat, wohl in der Forschung werden sollte. Jahrelang schrieb ich ihm zum Geburtstag, besuchte ihn an der Uni, auch als er schon emeritiert war und dort noch ein Buero hatte. Ich nannte ihn immer noch “Chef”, wie früher, das gefiel ihm wohl und mit den Jahren ist er sogar richtig aufgetaut, es hab sogar eine kurze Umarmung und Kuesschen Kuesschen auf die Backe.
Einmal hat er meinen Mann und mich sogar nach Hause eingeladen. Es war nett. Wir sollten das wieder tun … So verblieben wir. Jedes mal wenn ich in Konstanz war wollte ich ihn anrufen und vorschlagen einen Kaffee trinken zu gehen – was auch immer. Immer wieder hab ich es verschoben. Nächstes Mal! Im Sommer auf den Herbst, im Frühjahr auf den Sommer. Er ist ja erst knapp über 80 und war immer fit wie ein Turnschuh. Nächstes mal, ganz sicher, da emailst Du schon von Kalifornien und machst einen Termin aus. Ganz sicher.
Jetzt ist er tot – und ich habe regrets.
Hätte ich doch bloss! Warum hab ich eigentlich nicht? Was war so wichtig, dass ich nicht mal ein paar Stunden Zeit hatte. Wieso ist er eigentlich gestorben, der hätte noch 5 – 10 Jahre haben sollen. Bedauern.
Das wird jetzt anders, schwöre ich mir, das nächste mal besuche ich alle! Aber in so einigen Fällen ist es jetzt einfach unwiederbringlich zu spät.