Was ist Heimat? Das ist eine Frage die sich sicher alle Expats – also (freiwillige) Auswanderer – früher oder später und mehr oder weniger heftig und häufig stellen. Wo gehöre ich hin – hier oder da, beides, nirgends? Wie wichtig ist der Begriff der Heimat für mich? Kann man zwei Heimaten haben – oder gar keine. Ich werde oft gefragt “Ja wo bist Du denn jetzt daheim – hier oder dort?”
Author: Californiagirl Page 26 of 35
Hallo Konstanz! Seit 4 Stunden oder so bin ich jetzt wieder in Konstanz. Zwei Wochen Heimat”urlaub”. Urlaub in Gänsefüßchen weil ich hier doch viel Zeit beim Zahnarzt verbringen werde – was mir viel Geld ersparen wird aber eben nicht uneingeschränkt als Freude gewertet werden kann. Es hat allerdings gut angefangen: ein Flug mit Swiss ohne Zwischenfall.
Angefangen hab ich mit einem Studentenvisum mit dem ich ein Jahr lang legal arbeiten konnte. Danach hatte ich ein H1B, was der Leibeigenschaft sehr nahe kommt, dann eine Greencard. Ein langer, schwieriger und teuerer Weg, den ich hier beschreibe. Später kam dann noch die Staatsbürgerschaft – aber dazu ein andermal.
Heartland ist der englische Ausdruck für die Mitte/das Zentrum eines Landes, also der wichtigste Teil. Hier in den USA definieren manche das heartland als alle jene Staaten, die keinen Ozean berühren und speziell den Mittleren Westen. Mit anderen Worten, diejenigen Staaten, die Trump gewählt haben. Eine meiner Freundinnen lebt seit Jahren in Montana – das ist heartland! Hier ein paar ihrer Beobachtungen.
Der Schock hält an, aber man kriecht langsam wieder aus den Löchern, in die man sich verkrochen hat. The Show must go on. Die Frage stellt sich: Beschwichtigung oder Konfrontation.
Ausser blankem Entsetzen und Unverständnis beherrschen zwei Themen meine Facebook-Seite: Durchhalteparolen gemischt mit Patriotismus und der Ruf nach der Unabhängigkeit Kaliforniens vom Rest der verrückten Landes, der sogenannte Calexit.
Ich war gerade wählen. Natürlich hätte ich per Briefwahl wählen können, wie viele, aber ich wollte richtig wählen gehen so mit am Wahltag in der Wahlkabine stehen. Jetzt kann ich nur noch warten und hoffen, dass die Mehrheit meiner amerikanischen Landsleute nicht völlig von allen guten Geistern verlassen ist.
Chronik des Wahltages
Hier eine Chronik des Tages, die ich in unregelmäßigen Abständen erweitern werde.
8:30 Uhr
Gewählt! Zum Glück hatte ich einen Spickzettel, auf englisch cheat sheet – also wörtlich “Bescheisserzettel” – auf den ich mir aufgeschrieben hatte, was ich ankreuzen möchte. So ging es recht schnell, ich hab flugs alles ausgefüllt während in den Wahlkabinen neben mir die Leute auf ihren iPhones herumgetippt haben, um noch schnell herauszufinden was sie wählen sollen. Deutsche Gründlichkeit 🙂
Als ich ging, war die Schlange zur Tür raus, aber alle warteten geduldig und unterhielten sich in echt amerikanischer Manier mit den Fremden um sie herum. Ich hatte einen Plausch mit Dan, der – wie viele Amerikaner wenn sie hören, dass ich Deutsche bin – anfangen davon zu schwärmen wie es wäre einmal auf der Autobahn mit 100 Meilen pro Stunde …
Ausser den englischen Wahlunterlagen gibt es solche in spanisch, chinesisch, vietnamesisch und ich glaube Tagalog.
Wenn man gewählt hat kriegt man einen Sticker “I Voted” sagt der, “Ich habe gewählt”. So ähnlich wie die Kinder beim Trader Joe’s Supermarkt, die kriegen auch Sticker, wenn sie mit Mama oder Papa brav in der Schlange gewartet haben.
Ok, ich trage den jetzt für den Rest des Tages oder zumindest bis mein Sohn aus der Schule nach Hause kommt und ihn mir mopst.
10:50 Uhr
Ich putze, ein Bad glänzt schon, die Küche ist auch schon ganz ordentlich. Auf viel mehr kann ich mich an diesem Wahltag nicht konzentrieren. Bislang hab ich den TV noch aus und war auch noch nicht auf irgend einer Webseite mit News. Demnächst muss ich mal reinschauen, länger halte ich es nicht aus.
Ich habe gerade kurz mit einem Bekannten telefoniert. Der hat den Sekt schon kaltgestellt und ist viel optimistischer als ich. Hoffentlich hat er recht.
Daumen gedrückt!
12:20 Uhr
Eigentlich wollte ich jetzt was Fundamentales und möglichst Gutes über die Wahl lesen – ist aber wohl doch noch zu früh. Statt dessen kann man das Neuste über die Pitt-Jolie Scheidung lesen. Mein Mann schickt mir ständig irgendwelche Artikel wegen der Toblerone-Geschichte in England. Ist wohl auch eine Übersprungshandlung.
14:00 Uhr
Kommode im Schlafzimmer endlich einmal ab- und aufgeräumt und leicht Downton mäßig gestylt. Okay, ich weiss ich neige zum Übertreiben. Ausserdem: herausgefunden, dass man für Beton sehr grobes Sandpapier braucht aber Sprühfarbe dafür gut hält, ca. 10 Schalen aus alten Langspielplatten hergestellt, den Nähkram weggeräumt, ein bisschen am Etsy Profil herumgebastelt und das Wohnzimmer gesaugt. Das wird noch eine echt produktiver Tag.
CNN sagt “First results just hours away” – Stunden koennen lang sein!
15:40 Uhr
Erste Ergebnisse aus Kentucky, Indiana und New Hampshire zeigen einen Trump Sieg in diesen Staaten. Von Kentucky hab ich nichts anderes erwartet, Indiana – hab ich nicht drüber nachgedacht. Aber New Hampshire, New England – da wo wir früher immer den billigeren Alkohol für Parties am MIT geholt haben? Spinnt ihr? Echt jetzt?
Okay, ich hab mir gerade die Karte angesehen – das sind erst zwei Distrikte ausgezählt und beide so ca. am Arsch der Welt. Die Städte kommen noch. Städte sind demokratisch. Devise: Hoffnung nicht aufgeben!
16:30 Uhr
Trump führt, ich weiss das heisst noch gar nichts, viel zu früh aber trotzdem. Er hat die Stimmen von Kentucky und Indiana. Clinton hat Vermont – auch keine Überraschung. NPR sagt er führt in Florida, CNN sagt, Clinton führt. Ich darf gar nicht hinschauen. Augen zu, Finger in die Ohren lalalala.
Hab doch hingeschaut: jetzt sagt auch NPR, dass Clinton in Florida führt. Aber wie das mit Florida so läuft wissen wir ja noch aus dem Jahr 2000.
Mittlerweile zeigt uns der Economist, dass so blöd wir die Amerikaner niemand sonst ist.
18:00 Uhr
Georgia und North Carolina immer noch unentschieden (too close to call) – das ist ein gutes Zeichen, die sind normalerweise um diese Zeit schon fest in republikanischer Hand.
Trotzdem, die Spannung ist grauenhaft. Ich glaub ich war nicht mehr so gestresst seit – Ewigkeiten. In einer Stunden kommen meine Gäste, heute gibt es Essen vom Inder. Ich glaube, dass ist das zweite Mal in den letzten 10 Jahren, wo ich Gästen Take-Out vorsetzte. Aber Kochen ging heute nicht! Das versteht jeder.
20:30 Uhr
Depression. Deutschland, wir kommen zurück. Sprachlosigkeit, Entsetzen. Das Arschloch gewinnt, das kann doch nicht sein, das darf doch nicht sein.
Wie plant man eine Party, wenn man nicht weiss ob es ein Freudenfest oder ein deprimiertes Besäufniss im Katastrophenfall wird? Und: soll ich meine Stimme tauschen?
Seit Tagen vermeide ich die Nachrichten, weil ich echt nichts mehr über die Wahlen lesen kann. Ein Teil des Landes scheint kollektives Luftanhalten zu praktizieren während der Rest noch frenetisch versucht per Facebook, Twitter oder sonst wie ein paar Leute umzustimmen. In welche Richtung auch immer.