So schnell geht’s eben war es noch Hochsommer, die ohnehin viel zu langen amerikanischen Schulferien flossen träge dahin und – boom – jetzt ist es schon Ende August, die Tage werden wieder deutlich kürzer, am Montag geht die Schule wieder los und der Sommer ist fast vorbei.
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Erstmal eine Entschuldigung an alle regelmäßigen Leser. Ich weiß ja, dass ich furchtbar nachlässig war über die letzten Wochen aber ehrlich: es war einfach zu heiß zum Denken. Und wenn ich das sage, heißt das was. Aber jetzt zum eigentlichen Thema, das mich gerade nervt: Dreck überall.
Als ich das letzte Mal in Konstanz war, war ich mit den Freundinnen aus dem Gymnasium unterwegs. Das machen wir oft, wenn ich zu Besuch hier bin. Ein oder zweimal im Laufe des Abends fiel der Satz „Ich möchte mein altes Konstanz zurück.“
Das alte Konstanz, also das der 80er und 90er Jahre. Natürlich schwingt bei solchen Äußerungen ein bisschen Nostalgie mit, Erinnerungen an eine Zeit als wir noch leichtfüßig durch die Stadt hüpften, Sport schwänzten, um Mohrenkopf Brötle zu essen und unser größtes Problem eine verhauene Klausur war.
Aber dann ist da auch noch eine andere Komponente: Konstanz ist zu hektisch und zu groß geworden.
Kleine Stadt an der Schweizer Grenze
Ich lebe seit fast 20 Jahren in Kalifornien. Wenn mich Leute dort fragen, wo ich herkomme habe ich bis vor kurzem gesagt ich „eine kleine Stadt im Süden Deutschlands, direkt an der Schweizer Grenze mit so ca. 65.000 Einwohnern“. Erst letztes Jahr fiel mir auf, dass ich da mal eben locker fast 20,000 Leute unterschlagen hab.
Und noch mehr kommen ständig dazu. Jeder, der ehrlich ist, versteht das ja, wohnen, wo andere Ferien machen – klar, wer will das nicht?
Entsprechend ist die Bauwut in Konstanz ausgebrochen. Ein neuer Wohnblock auf die Wiese, aufgestockt da, nachverdichtet dort. Von Wohnungskrise ist Rede und das ist ja auch wirklich so: Wohnungen sind Mangelware und so teuer wie noch nie. Viele, die Wohnraum suchen, finden keinen oder können sich die grössere Wohnung, die sie gerne hätten, nicht leisten.
In alle dem muss man allerdings auch mal die Frage stellen: hilft die Bauwut denn? Werden heute aufgrund des Bauens an allen Ecken weniger Wohnungen gesucht? Was wenn noch 100, 200, 300 Wohnungen hingestellt werden? Ist es dann genug? Hat dann jeder eine Wohnung und die Lage entspannt sich?
Man kann sich vermutlich über die Antwort streiten, aber sie fällt doch eher negativ aus. Mehr Wohnungen bedeutet mehr Interessenten genauso wie breitere Straßen mehr Verkehr bedeuten, nicht weniger Stau. Bauen in Konstanz ist teuer, entsprechend teuer ist der Wohnraum und die hübschen Wohnungen sind dann für den alteingesessenen Briefträger oder die Krankenschwester ohnehin nicht erschwinglich.
Ich lebe im Silicon Valley. Da fehlen tausende von Wohnungen und Häuser, ich kenne die Diskussion also zur Genüge. Was Konstanz und Silicon Valley unterscheidet ist, das wir Wohnungen für Leute brauchen, die hier arbeiten. Apple, bei uns in der Nähe, um nur ein Beispiel zu nennen, hat fast 15.000 Angestellte, die zum Teil 2 Stunden ein Weg im Auto sitzen, um zur Arbeit zu kommen. So sehr mich die Nachverdichterei, die bei uns jetzt auch anfängt, persönlich nervt, ich seh das noch ein. Keiner fährt gern stundenlang, der Umwelt tut es auch nicht gut und die Staus sind legendär.
Konstanz hat praktisch keine Industrie, die größten Arbeitgeber sind die Uni, die Stadt und das Krankenhaus. Der größte Bevölkerungszuwachs kommt von den 18-25 Jährigen (Studenten) und den über 65 Jährigen, also Rentner. Von beiden Gruppen gibt es mehr als genug, um jeden Wohnraum, der geschaffen wird, zu füllen und ohne auch nur den geringsten Unterschied in der Nachfrage zu bewirken. Wenn die Wohnungen billiger werden, können es sich mehr Rentner aus allen Teilen Deutschlands (oder Europas) leisten, sich dort zur Ruhe zu setzten, wo andere Urlaub machen und die Uni kann noch ein paar Hörsäle anbauen. Billigere Wohnungen gibt es deshalb nicht.
Die Stadt wandelt sich und das ist auch gut so, das muss sein. Wachstum und Veränderung sind wichtig, aber irgendwann muss man auch mal anhalten und sich fragen, ob es denn Sinn macht im Bemühen mehr und mehr Wohnungen zu schaffen und jede letzte Ecke zuzubauen, nicht das zerstört, was Konstanz so begehrenswert macht.
Vielleicht ist das die Lösung, vielleicht muss so lange gebaut werden, bis die Leute sagen „Konstanz war mal schön aber jetzt ist es zu groß und verbaut, da wollen wir nicht mehr hin.“
Das wäre allerdings für alle die schlechteste Lösung.
So nun bin ich wieder zurück in Kalifornien. Zwei Wochen waren wieder im Handumdrehen vorbei. In meinem Koffer waren dieses mal neben den altbewährten Sachen auch ein paar neue Dinge, z.B. jede Menge Putzmittel. Ja ich weiß …
Ich bin mal wieder in Konstanz, mein Frühjahrsbesuch sozusagen und wie jedesmal erliege ich wieder allen möglichen Versuchungen. Meistens geht es damit los, dass ich mal eben schnell in die Stadt fahre, um eine Kleinigkeit zu besorgen. Dabei bleibt es dann leider nicht …
Wenn ich mal wieder so richtig aufrege über das Silicon Valley und die Schnauze voll habe von $5 Joghurts, Verkehrsstaus, überdimensionierten Bauvorhaben an jeder Ecke und der überheblichen Annahme, dass man eigentlich nur als Ingenieur, am besten natürlich als CE – computer engineer/Computer-Fachmann – was Wert ist, von Politik, den krampfhaften Überlegungen, was ich den noch tun kann, damit mein Sohn in die richtige High School kommt, damit er an die richtige Uni kommt und einmal einen dieser Ingenieursjobs bekommt, und ständigem Ärger mit den Telefon/Kabelanbietern, dann denke ich mir: ich brauch ein einfacheres Leben. Dann denke ich an Konstanz.
Es gibt immer wieder Probleme, die unlösbar sind – selbst mit gutem Willen von allen Seiten, den es allerdings oft nicht gibt, weil ein Teil dessen, was das Problem unlösbar macht die Tatsache ist, das der vielleicht anfänglich noch vorhandene gute Willen im Laufe der Zeit erodiert ist. Der der Konflikt im Nahen Osten ist sicher eines der berüchtigten Beispiele für einen unlösbaren Konflikt. Meine deutsche Heimatstadt hat auch einen: der schweizer Einkaufstourismus.
Lange hielt ich den November für den schlimmsten Monat im Jahr und in Konstanz war es das ja oft auch so. Der Nebel, der früher oft tage- wenn nicht wochenlang wie eine nasse Decke auf der Stadt lag löste Depressionen aus. Aber dann gab es da noch den Januar, der, wenn man es genau nimmt, noch deutlich schlimmer ist als der November.
Jedes Mal, wenn ich nach Europa/Deutschland/Konstanz komme erleben ich eine Verschiebung der Perspektive. Plötzlich sind ganz andere Dinge wichtig und präsent, über die ich seit Monaten nicht nachgedacht habe. Die veränderte Geographie verändert auch die Perspektive.
Was ist Heimat? Das ist eine Frage die sich sicher alle Expats – also (freiwillige) Auswanderer – früher oder später und mehr oder weniger heftig und häufig stellen. Wo gehöre ich hin – hier oder da, beides, nirgends? Wie wichtig ist der Begriff der Heimat für mich? Kann man zwei Heimaten haben – oder gar keine. Ich werde oft gefragt “Ja wo bist Du denn jetzt daheim – hier oder dort?”