Allen meinen Lesern, den treuen sowie den neuen wünsche ich ein Frohes Neues Jahr! Ich hoffe, Ihr habt alle schön gefeiert. Wir sind am letzten Tag unserer Reise und am letzten Tag des Jahres wir wieder in Las Vegas gelandet. Über Bryce Canyon, die superengen “slot canyons” in Grand Staircase Escalante und das Valley of Fire erzähle ich ein anderes Mal, heute zum Thema Sylvester in Vegas.
In Las Vegas ist immer was los, aber Sylvester in Vegas ist nochmal eine andere Geschichte. Wir haben mal wieder zu spuat gebucht und haben nichts mehr zu einem vernünftigen Preis in einem der großen Hotels am Strip bekommen. Das Venetian hätte sowas um die $350 bis $400 pro Nacht gekostet, wenn ich es heute für morgen buche ist es $127. Wie em auch sei, wir landeten in einem schönen Marriott und bekamen dank des Silberstatus vom meinem Mann ein Zimmer im 22. Stock – die Sicht war nicht zu verachten, allerdings waren wir gute 20 Minuten strenger Fußmarsch vom Strip entfernt.
Sylvester in Vegas: gewappnet für den Katastrophenfall
Ab 16:00 Uhr war der Strip für den Autoverkehr gesperrt damit sich die erwarteten 300.000 Besucher auch gut breitmachen können. Als wir um ca. 20 Uhr am Strip ankamen, vernünftig angezogen in langen Hosen, Jacken und sogar Mützen dabei war noch nicht viel los aber von allen Seiten strömten Leute heran. Der Strip war tatsächlich abgesperrt, aber in der Mitte hatte sich die Polizei einen 10 Meter breiten Streifen abgesperrt. Polizei war ohnehin das allererste, das uns auffiel: Polizei an jeder Ecke, Polizeiwägen überall, zum Teil Vehikel, die eher wie Militärfahrzeuge aussahen. Der Zugang von den kreuzenden Straßen war nicht nur einfach mit Bändern oder Pollen abgesperrt, jeweils zwei Busse, z.B. Linienbusse der Stadt Las Vegas standen, keilförmig aufgestellt quer über die Strassen.
Die erste Fußgängerbrücken über den Strip konnten wir noch nehmen, als wie die zweite ansteuerten hab ich mich noch gewundert, dass da oben so wenig los ist. Die Dinger sind sonst ein beliebter Ausguck für Tourist. Es stellte sich heraus, dass die Fußgängerbrücken alle abgesperrt waren und jede war mit mindestens 5 bis 6 Polizisten besetzt.
Als wir am Anfang unseres Urlaubs über den Strip geschlendert sind haben wir uns über die riesigen in Folie eingewickelten Poller entlang der Straße gewundert. Jetzt waren die Dinger ausgepackt und entpuppten sich als sich 1.50 Meter hohe, superstabile Sperren, die die Gehwege von der Straße abriegeln. Langsam dämmerte es uns: die sind hier auf alles vorbereitet. Die Busse stehen da nicht, um nachher Leute nach Hause zu bringen, die stehen da, um einen Wahnsinnigen, der mit einem Auto in die Menge rasen will aufzuhalten oder zumindest abzubremsen. Die Poller haben die gleiche Funktion. Die Brücken waren abgesperrt, damit kein Wahnsinniger von oben in die Menge schießen kann. Die Polizei zeigte Präsenz um irgendwelchen betrunken Blödheiten einzuschränken, die breite freie Spur in der Mitte ist damit Polizei und Rettungsfahrzeuge schnell an einem Tatort kommen. Vermutlich waren auf den Dächern auch noch Scharfschützen positioniert. Gesehen haben wir keine, das ist ja auch der Sinn der Übung.
Besonders beruhigt hat mich die ganze Situation ehrlich gesagt nicht. Mittlerweile war die Menge an manchen Stellen schon dicht gedrängt und man musste sich durchkämpfen. Alle die heroischen Gedanken, die man hat, wenn man von solchen Massakern hört und liest, wie man schnell und gewandt über Zäune und Absperrungen klettern würde, wie man im Zickzacklauf den Kugeln ausweichen würde und nebenbei noch ein bis zwei Kinder, denen die Eltern abhanden gekommen sind, auflesen und in Sicherheit bringen würde scheitern plötzlich an der Realität: wenn da einer von oben anfängt zu schiessen oder mit einem Ford F-350 auf einen zurast, dann hat man entweder Glück oder eben nicht. Vom Zaun trennt einem eine Dreierreihe von Mädels in hohen Hacken und Jungs mit Bierflaschen in der Hand, mal davon abgesehen, dass man selbst ziemlich steif gefroren ist und schon seit längerer Zeit nicht mehr elegant über Zäune gehüpft ist. Visionen von stolpernden und schreienden Mengen, die alles niedertrampeln, drängen sich dann zwangsweise auch noch auf.
The Show must go on
Da man in einer solchen Stimmung Sylvester in Vegas nicht geniessen kann hab ich mir folgendes immer wieder zur Beruhigung gesagt: “Die Polizei weiß was sie tut” (glaub ich eher nicht, aber es klingt gut) und ” wenn einer hier ein Massaker anrichten will dann um Mitternacht und da sind wir sicher auf der Dachterrasse unseres Hotels” (das konnte ich glauben).
Diese zwei Sätze im Hinterkopf sind wir dann weitergezogen und haben uns a) die Vulkanausbruchsshow beim Mirage Hotel, b) zwei von den Wassershows beim Bellagio und c) hauptsächlich die Leute angesehen. Ich geb ja zu, dass ich in meinen jungen Jahren und auch noch in meinen nicht mehr ganz so jungen Jahren jede Menge gefeiert hab und es mir wichtig war in hübschen aber vor allem kurzen Kleidchen auf irgendwelchen Tanzflächen herumzuhüpfen. Viele meiner Outfits hätten sicher meine Mutter dazu verführt sowas wie “so gehst Du mir nicht aus dem Haus” oder Schlimmeres zu sagen. Aber eins ist klar: niemals nicht bin ich bei 8 Grad in einer hautengen, schulterfreien, knapp arschbedenkenden, pailettenbesetzten Nummer aus dem Haus – ohne Jacke, ohne Strumpfhose und in hohen Hacken. Das mit den hautengen Kleidern hab ich dann komplett aufgegeben, als ich mehr als eine 38 trug, aber auch das scheint keine Regel mehr zu sein. Hier sind die ein paar Kategorien von Leuten, die man immer wieder sieht:
- Oben beschrieben Mädels, gern im Pulk, oder mit ihren boy-friends, die allesamt komplett langweilig und nicht bemerkenswert aussehen und sicher nicht frieren oder sich auch nur die geringste Mühe mit ihrem Outfit gegeben haben. In der Regel haben alle irgendwas Alkoholisches in der Hand, gerne überdimensioniert, überteuert und süß wie diese Mammut Daquiris. Man ist laut und betrinkt sich, wer Pech hat landet schon vor 10 abends bei den Santitätern.
- Variationen dieser Mädels sind dann die, die zum hautengen, schulterfreien, knapp arschbedenkenden, pailettenbesetzten Kleidchen/Röckchen in Badelatschen antreten. Echt, bei 8 Grad hab ich Frauen in Glitzerröcken und Flip-Flops gesehen. Sowas kann ich nicht erfinden. Der Rest ist gleich.
- Horden von Jungs, die sich auf Biegen und Brechen amüsieren wollen. Bei vielen heißt das anscheinende Saufen bis zum Umfallen und Herumgrölen. Bei anderen, vor allem diejenigen, für die Trinken kulturell nicht so akzeptabel ist, wie Inder, ist nicht so klar, was sie im Schilde führen, außer eben den Strip hoch und runter gehen.
- Mexikanische Großfamilien mit mindestens drei bis vier Kleinkindern dabei. Die kleinen Jungs haben alle gegelte Haare und die Mädchen sind zurechtgeputzt mit irgendwas blinkendem im Haar. Die gesamte Gruppe ist bewaffnet mit Bier in Dosen und Chipstüten angetreten. Diese Gruppen sind in der Regel total harmlos, da wird getrunken, aber sich nicht betrunken.
- Dann gibt es die Angeber: er im Smoking, sie im langen Kleid, man flaniert, stellt sich zur Schau, zeigt sich dem gemeinen Volk, posiert vor dem Bellagio für ein paar Bilder und verschwindet dann – oder will zumindest den Eindruck erwecken – in einem der feinen Lokale, wo mit Stil gefeiert wird. Im Mandalay Bay in der Skyfall Lounge kriegt man einen Tisch für 10 schon für läppische $7000. Im Eiffelturm Restaurant muss man schon ein bisschen mehr hinblättern, da kostet der Abend pro Person $3000.
- Dann junge Asiaten in Kleingruppen und alle anscheinend nur von einem Gedanken beseelt: wie kann ich in der kürzesten Zeit die meisten Selfies vor dem verschiedensten Hintergründen machen. Es stellt sich verschärft die Frage: “wie viele Selfies braucht ein Mensch? Und: “was macht ein Mensch mit 348 Bildern von Sylvester in Vegas, die alle das gleiche zeigen: ihn/sie in der immer gleichen Pose vor irgendwelchen Casinos?” Diese Gruppen sind nervig, vor allem wenn sie mit Selfie-Sticks herumwedeln, aber zumindest saufen sie in der Regel nicht und die Mädels kichern höchstenfalls mal etwas lauter als sonst.
- Natürlich dürfen auch die Gegendemonstranten nicht fehlen: mitten im Strip stand, von der Polizei mit Absperrungen abgeriegelt, eine Gruppe von vielleicht 30 Leuten, die uns allen mittels Schildern und Megaphonen die Höhle und Schlimmeres angedroht haben, wenn wir uns nicht sofort und augenblicklich von Jesus retten lassen. Der Hauptschreihals hat meistens völlig Sinnfreies vor sich hingeschrien, alle drei bis vier Worte war dann Jesus, Gott, Sünde, Hölle, Buße oder dergleichen zu hören.
- “Normalos” wie wir, die sich keine besondern Umstände gemacht haben. Einige werden kurz vor dem Strip dann doch noch schwach und kaufen sich irgendwas Blinkendes für in die Haare oder eine 2018 Brille, Zeug das an jeder Ecke angeboten wird. Wir haben uns zurückgehalten, mein Sohn hat in einer Bäckerei dann doch noch eine Tröte umsonst ergattert – das war unser einziger Beitrag zum allgemeinen Gelärme.
Mitternacht haben wir dann wie geplant auf der Dachterrasse des Marriott verbracht. Es ging gesittet zu, man zählte 10, 9, 8 etc, schrie “Happy New Year” und machte Bilder vom Feuerwerk über Las Vegas. Mein Sohn sah mich nach so einer Minute von der Seite an und meinte: “das hier kann gegen das Seenachtsfest in Konstanz abstinken.” Ich mußte ihm recht geben.
Es war nett und die Erfahrung durchaus wert, aber extra dafür würde ich nicht nach Las Vegas kommen. Sylvester in Vegas also nur im Doppelpack mit Nationalparks!