Bis gestern war ich noch nie bei einem Townhall Meeting, das war was für andere, Leute, die mehr Zeit haben oder sich für irgendwelchen obskuren Gesetzesvorlagen interessieren oder sonstwie nicht so ganz, hmm …, normal sind. Seit gestern finde ich, dass die coolsten Menschen zu Townhall Meetings gehen.
Unsere Repräsentation im Kongress verbringen die meiste Zeit in Washington. Regelmäßig haben sie “Heimaturlaub” in ihren Bezirken und im Idealfall halten sie dann Treffen mit ihren Wählern ab. Diese werden Townhall Meeting genannt, weil sie in grossen Hallen/Hörsälen oder dergleichen stattfinden (vermutlich früher auch oft in den Räumen des Bürgermeisteramtes oder dergleichen offizieller Ort). Das Format ist in der Regel so: der Repräsentant kommt, manchmal gibt es eine kleine Zeremonie, z.B. kommt ein Trupp von Jung-Pfadis und sagen ihren Schwur, oder jemand kriegt ‘nen Order oder dergleichen. Dann redet der/die Abgeordnete ein bisschen und danach wird es interessant: dann dürfen die Leute Fragen an den Abgeordneten stellen. In vielen Fällen müssen die Fragen vorher eingereicht werden oder man muss zumindest sagen, dass man sprechen will. Manchmal werden einfach nur Leute aufgerufen.
Bislang war das wie gesagt, eher eine dröge Affäre. Ich hab in all den Jahren hier niemand getroffen, der gesagt hat “Du, ich war neulich beim Townhall Meeting mit Sowieso und das war echt super.” Wenn ich ganz ehrlich bin hab ich noch nichtmal jemanden getroffen der gesagt hat “Du irgendwann einmal war ich bei einem Townhall Meeting.”
Man geht jetzt zu einem Townhall Meeting
Jetzt ist Trump, die orange Gefahr, und seine Schergen an der Macht und plötzlich sind Townhall Meetings der Hit. Hunderte strömen zu diesen Veranstaltung überall im Land, manchmal bedeutet das stundenlange Fahrerei, Schlange stehen, um die die Räume zu kommen und immer öfter wird es laut und unfreundlich. Leute stehen auf und löchern ihre Abgeordneten mit gezielten Fragen zu speziellen Themen, es wird gebuht und Schilder werden hochgehalten, z.B. eines, das je nachdem wie man es dreht ein Daumen hoch oder ein Daumen runter sein kann. Wenn der/die Abgeordnete sich blöd anstellt, z.B. in typischer Politiker-Manier herumschwafelt statt eine Antwort zu geben gibt es lautstarken Protest. Mehrere haben schon frühzeitig die Räumlichkeiten verlassen. Besonders Feige haben beschlossen, wären dieser Runde des Heimataufenthaltes kein Townhall Meeting abzuhalten. In Washington regen sich die Republikaner und vor allem der Ober-Tweeterer entsetzlich darüber auf, wie unhöflich die Abgeordneten doch behandelt werden. Es ist davon die Rede, dass bei allen Meetings bezahlte Protestierer anwesend sind und die armen Trump-Waehler schlecht behandeln. Fake News, kann ich da nur sagen
.
Mein erstes!
Gestern bin ich zu dem Townhall Meeting meines Abgeordneten. Mit drei anderen Frauen, von denen vom Alter her eine meine Tochter und eine andere meine Mutter sein könnte und die dritte so ungefähr in meiner Altersklasse lag, sind wir nach Fremont gefahren, nicht weit, aber mit dem Verkehr trotzdem mehr als eine Stunde Fahrzeit.
Schon von Weitem schwante uns böses. Eine endlos lange Schlange an Autos bog in die Strasse zum College ein, zu dem wir wollten und als wir endlich ankamen, eine gute halbe Stunde zu früh, war der Saal voll und ca. 200 Leute warteten auf Einlass. Ein weiterer Raum wurde aufgemacht, der dann auch nicht reichte aber wir ergatterten einen Platz. Für anderthalb Stunden unterhielt uns der Bezirksmanager des Abgeordneten solange der im anderen Raum Fragen beantwortete. Zum Glueck handelte es sich um einen ehemaligen Lehrer (Theater und Chemie – das hab ich jetzt nicht erfunden), der ausgesprochen witzig und gut war. Danach hatten wir dann noch eine gute Stunde, um dem Abgeordneten Fragen zu stellen.
Es ging fast ein bisschen zu gesittet zu. Leute stellten alle möglichen Fragen und Ro (der Abgeordnete) hatte auf alle eine gute Antwort. Natürlich hatte er ein leichtes Spiel: ein Raum voll von liberalen im 5. liberalsten Bezirk in den USA. Eine neue Definition des Begriffes “Heimspiel”. Na ja, hat er aber verdient, denn in Washington hat er dafür einen umso schweren Stand als Superliberaler aus Kaliforniens liberalster Ecke.
Ich muss sagen, ich war beeindruckt, nicht nur von ihm, er war souverän, bescheiden, hat gute Antworten zu den Fragen gegeben und auch schwierige gut beantwortet. Auch die Stimmung war toll, respektvoll und sehr freundlich und friedlich was nicht unbedingt zu erwarten ist, wenn ein Drittel erst gar nicht in einen Raum kommt und ein anderes Drittel anderthalb Stunden warten muss, um zu Wort zu kommen. Mir gefiel auch meine kleine Truppe – klar alles Frauen, aber doch sehr unterschiedlich, wann geht man schon mit Leuten, die so ca. 50 Jahre Altersunterschied von der Jüngsten bis zur Ältesten haben, weg und versteht sich sofort wunderbar. Politik verbindet, kann ich da nur sagen.
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