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Eine Konstanzerin in Kalifornien

Das Trump-Phänomen, ein Erklärungsversuch

PräsidentenwahlEigentlich wollte ich – typische Amerikanerin, die ich mittlerweile bin – in netter Gesellschaft das leidige Thema Politik vermeiden.  Allerdings lässt sich angesichts der momentanen Charade, die hier abgeht und die auch als Präsidentenwahl bezeichnet wird, das Thema nicht ganz umgehen.  Leider.

Wenn es um Wahlen, Politik und Religion geht lebe ich nicht in Amerika, ich lebe im Küstenstreifen Kalifornien’s, einer Gegend, die nicht umsonst als die “linke Küste” bezeichnet wird. Ich habe hier noch kein Schild oder Aufkleber gesehen, das Trump unterstützen würde.  Es gibt wahrscheinlich auch hier ein paar vereinzelte Anhänger, aber die trauen sich nicht das öffentlich zuzugeben.  Heute bin ich auf dem Freeway unterwegs gewesen und hab ein Abschleppwagen gesehen, der einen alten Truck abschleppte.  Der hatte hinten auf dem Fenster “Trump 2016-2024” stehen.  Ich hab sofort gedacht: das mit der Panne geschieht Dir recht!

Damit hat keiner gerechnet

Spass beiseite: wir hier verstehen auch nicht was mit unserem Land passiert.  Uns ist allen klar, dass Trump ein größenwahnsinniger Dreckskerl ist, der die Konzentrationsfähigkeit eines Dreijährigen mit ADHD hat.  Hätte uns irgend jemand vor einem Jahr gesagt, dass es soweit kommen würden hätten wir alle hämisch gelacht, den für verrückt erklärt und uns der Diskussion zugewandt, ob Hillary oder Bernie die bessere Alternative ist und wo man das beste Sushi in Sunnyvale bekommt.

Das Lachen ist uns kollektiv vergangen.

Mit den letzten Entwicklungen über seine Belästigungen von Frauen stellt sich allerdings gelegentlich ein höhnisches Gelächter ein.  Keine Frage, Amerika ist zum Gespött und zur Witzfigur der Welt geworden.

Wie kann das nur passieren?

Selbst meine Mutter, die sich selten politisch äußert, hat mich neulich am Telefon gefragt, was da eigentlich um Gottes Willen abläuft. Im Endeffekt ist mir nicht besseres eingefallen als zu sagen: “das ist wie damals mit Hitler.” Diese Aussage hat mich erst selbst geschockt aber im Endeffekt ist sie nicht so weit hergeholt: ein größenwahnsinnigen Dreckskerl, der die niedrigsten Instinkte derer anspricht, die sich – zurecht oder zu unrecht – verraten, verkauft verdrängt und verlacht vorkommen.

Die andere Seite

Eine meiner Freundinnen hier hat vor Jahren die Bay Area verlassen und lebt jetzt in nord-west Montana.  Sie lebt umgeben von Trump-Anhängern und hat versucht Menschen dort umzustimmen.  Sie hat schnell gelernt, dass das nichts bringt.  Je rationaler die Argumente, desto weniger werden sie verstanden oder akzeptiert.

Sie hat mir neulich einen Link zu einem Artikel geschickt, der wie ich meine, das Trump-Phänomen besser erklärt als alles was ich bislang zu dem Thema gelesen hab.  Hier ein paar Denkanstöße aus dem Artikel:

Stadt gegen Land
Trump

bLaue Inseln im roten Meer. Quelle: http://www-personal.umich.edu/~mejn/election/2012/

Demokraten leben in Städten.  Städte nehmen weniger als 4% der amerikanischen Landmasse ein, aber dort leben 62% der Menschen.  Diese “blauen” (blau ist die Frage der Demokraten, rot die der Republikaner) Inseln beherrschen Amerika: dort kommen die Nachrichten, Filme, Kunst, Kultur, neuen Technologien, Musik, kurz so ziemlich alles, her.

Für das flache Land, das muss man zugeben, hat der typische Städter wenig mehr als Verachtung übrig.  In den Medien werden die Leute dort gern als Hinterwäldler verlacht.  “White Trash” also arme, Unterschicht-Weisse (wörtlich “weisser Müll”) sind so ziemlich die einzige Gruppe, über die man noch ungestraft Witze machen darf.

Umgekehrt bekommen die sogenannten Hinterwäldlern durch die Medien, Film und Fernsehen auch eine völlig falschen Eindruck von den Städten: New York ist Gotham City, in San Francisco gibt es nur Atheisten, die auf den Strassen Sex-Parties feiern, und in Chicago ist man vor lauter Gangs seines Lebens nicht eine Sekunde sicher.

Traditionelle Werte

Das Land sieht seine Werte bedroht, von den Städtern.  Werte, die immer noch sehr durch die Religion geprägt sind.  Kann ja auch fast nicht anders sein, denn in vielen dieser kleinen Städte, die durch die “great recession” wirtschaftlich zerstört wurden, gab die Kirche nicht nur moralischen und geistlichen Halt, sondern bot auch die oft einzige Möglichkeit für Leute sich zu treffen.  Leute, die sich Restaurants oder Bars nicht leisten konnten oder in Städten lebten, wo es nur noch wenige davon gab, gehen in die Kirche, um ihre sozialen Kontakte zu pflegen.

Viele dieser Städte sind durch die Rezession und durch die Abwanderung praktisch aller Herstellung, also durch Internationalisierung, wirtschaftlich völlig zerstört.  Die Firma, die für Jahrzehnte für Arbeitsplätze sorgte, packt zusammen und geht nach Mexiko oder China.  Die Stadt ist ruiniert, es gibt keine Alternativen, keine florierende Service-Industrie wie in den Städten.   Was bleibt ist Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit.

Da is Religion wichtig, traditionelle Werte sind wichtig.  Daran kann man sich festhalten. Und all das wird von den Städtern, die Cappuccino trinkend in ihren Luxusapartments sitzen, zum Teil wirklich und zum Teil eingebildetermassen verlacht und in den Schmutz gezogen.  Und schlimmer noch, die Cappuccino-trinkenden, Sushi-essenden Städter erklären dann auch noch eloquent, dass die “Hinterwäldler” an allem Schuld sind.

Ueber White Trash darf noch gelacht werden

Die “Hinterwäldler” kriegen es also von allen Seiten: es geht ihnen wirtschaftlich beschissen, der Aufschwung, der im Silicon Valley dafür sorgt, dass die Freeways ständig verstaut sind und 2-Zimmer Apartments $3000 aufwärts im Monat kosten, ist auf dem Land nicht angekommen.  Ausserdem kommen sie sich als  “white trash” verlacht vor und haben den Eindruck, dass alle Minderheiten eher akzeptiert werden und die liberale Elite mit Schwarzen, Hispanics oder anderen Minderheiten mehr Sympathie hat.

Während auf dem Land ums wirtschaftliche Ueberleben gekämpft wird, die Selbstmord- und Drogenabhängigkeitsraten enorm hoch sind, regen sich die Städter darüber auf, das Schwule nicht heiraten dürfen, oder Transsexuelle bestimmte Klos nicht benützen dürfen.  Da kommen dann viele nicht mehr mit.

Trump zeigt’s der Elite

In diese Atmosphäre von Verzweiflung und Wut platzt Trump, der nicht nur verspricht alles besser zu machen sondern noch einen draufsetzt und die liberale Elite beschimpft und sich über sie lustig macht.  Und das alles auf eine Art und Weise, wie man sie bislang im politischen Diskurs nicht kannte: unter die Gürtellinie, dreckig und ohne Pardon. Endlich wird da Gleiches mit Gleichem vergolten.

Das er ein widerlich dummer Scheisskerl ist, scheint weniger wichtig zu sein, als dass er den Leuten eine Hoffnung auf Vergeltung gibt.  Hoffnung darauf, dass es die Typen an der linken Küste auch einmal zu spüren kriegen, wie es ist, das Arschloch der Nation zu sein.

Ich bin nach wie vor sprachlos angesichts des Trump-Phänomens aber der Artikel hat mir doch die Augen geöffnet.  Wir sehen hier – genauso wenig wie unsere Freunde in New York oder Austin – nicht wie es im ländlichen Kansas oder Ohio zugeht.  Wir haben keine Ahnung und oft leider auch wenig Sympathie.  Wir – also ich – regen uns auf, dass ein Becher Joghurt hier fast $5 kostet und kaufen ihn dann doch. Wir wissen in der Regel nicht, wie es ist, wenn man Angst haben muss, nicht genug zu Essen zu haben oder Dinge bei Walmart kaufen zu müssen, nicht weil wir das als soziologischen Fehlversuche ganz witzig finden, sondern weil wir uns nichts anderes leisten könne (und die anderen Länden auch alle zu sind, kann ja schliesslich keiner mit Walmart konkurrieren).

Das macht Trump nicht besser.  Er ist und bleibt ein widerlicher, größenwahnsinniger Scheisskerl mit der Konzentrationsfähigkeit eines Dreijährigen mit ADHD und er würde den “Hinterwäldlern” auch nicht helfen.  Denn auch er hat keine Sympathie und kein Verständnis – ganz im Gegenteil – aber er teilt ihr Wut auf die linke Elite, die ihn als größenwahnsinniger Scheisskerl mit der Konzentrationsfähigkeit eines Dreijährigen mit ADHD verlacht.

Wie gesagt, das Lachen ist uns kollektiv vergangen.

 

 

 

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3 Comments

  1. Eric

    Da kann einem das Lachen schon vergehen, selbst hier in Deutschland…

    Der Artikel beschreibt es aber treffend. Die Zweiklassengesellschaft wurde in den USA geboren und ist ja mittlerweile auch bei uns am ankommen. Mit einem Stanford Abschluss steht einem alles offen – gerade im Silicon Valley – wird das ja zelebriert.
    Die andere Klasse – ein Teil der Landbevölkerung – hat diese Möglichkeiten gar nicht. Du hattest ja in einem anderen Beitrag geschrieben, wie kostenintensiv die Ausbildung in den USA sein kann. Diesbezüglich frage ich mich natürlich, woher das Erfolgsdenken – aus dem vorherigen Beitrag – bei dieser Gruppe kommen sollte.
    Das bei dieser Situation irgendwann ein Kerl wie Trump auftaucht, war ja nur eine Frage der Zeit, wobei ich den aber ebenfalls unmöglich finde.

    • Californiagirl

      Das mit dem Kosten für die Ausbildung ist in den letzten Jahren immer schlimmer geworden. Das MIT war auch schon in den späten 90zigern schon teuer, aber man hat es sich schon irgendwie leisten können – mit Schulden und so, aber heutzutage ist es extrem teuer. Da kommen dann Leute mit $100,000 an Schulden aus dr Ausbildung – das muss man erst mal verdienen.
      Leute vom Land, speziell solche, die keine Ausbildung haben, können oft nicht in die Städte umziehen – dazu fehlt schlicht das geld. Jemand der Mindestgehalt bekommt kann nicht nach SF ziehen und dort $3000 für eine kleine Wohnung bezahlen. So segregieren sich Stadt und Land noch mehr.

      • Eric

        Läuft da nicht etwas ganz gewaltig schief “Bei Euch”?
        Meiner Meinung nach, darf es ein so “zweigeteiltes Land” nicht geben.
        Und wir sind ja nicht gerade in Afrika…

        So traurig es ist, vielleicht brauchen die USA einen Trump…

        In einem reichen Land, wie den USA sollte es so etwas wie “sehr arme Landbevölkerung und sehr reiche Silicon Valley People” nicht geben. Gerade die “Silicon Valley – Überheblichkeit” kotzt mich da ehrlich gesagt etwas an.
        Ich hatte gestern Abend das “Vergnügen”, mir das 4 Stunden anzuschauen.

        Ihr habt da drüben ein riesen Problem. Und das heißt nicht TRUMP!

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