Kaum sind wir zurück geht es schon wieder so hoch her, dass man gar nicht weiss, wo man zuerst schauen soll. Letzte Nacht gab es ein dramatisches Showdown im Senat zum Thema Widerruf der Gesundheitsreform. Noch leicht vom Jetlag geplagt habe ich die dramatische Nacht zwar nicht live miterlebt aber doch mit wenig Verzögerung. Jetzt kann man nur hoffen, dass es endlich wirklich vorbei ist mit dem Spuk.
Die Bedeutung der Abstimmungen zur Gesundheitsreform kann man kaum überschätzen. Ich hab ja schon hier und hier davon berichtet. Das letzte mal war ich optimistisch, dass es das Ende dieser scheusslichen Episode war. Aber nein, McConnell und sein Bande vom Fieslingen wollten das Ding durchpeitschen und haben es nochmal zur Abstimmung gestellt. Echt ein politischer Krimi.
Ein Politischer Krimi
Das lief so ab: McConnell und die Fieslinge haben als erstes eine Abstimmung darüber abgehalten, ob die Gesundheitsreform überhaupt zur Abstimmung gebracht werden soll. Zu dem Zeitpunkt hatte noch keiner eine Ahnung, über was eigentlich abgestimmt werden soll: Abschaffung? Ersetzen mit was anderem? Wenn ja, was? Das dramatische Element hier war John McCain, Senator aus Arizona und selbsterklärter politischer “maverick” also ein unorthodoxer, eigensinniger Mensch, der tut was er will. John McCain ist kein Springinsfeld mehr und war gerade am Kopf operiert und mit Gehirnkrebs diagnostiziert worden. Er wurde aus Arizona extra eingeflogen, um an der Abstimmung teilzunehmen, weil die Republikaner jede Stimme brauchten. Eine noch recht blutig frische Narbe über einem Auge zeugt von der OP.
McCain hat sich kritisch über das Verfahren geäußert, wollte mehr Diskussion, mehr Einbindung der Demokraten und hat das auch gesagt. Umso erstaunter waren dann viele, als er dafür stimmte, das undefinierte Gesundheitsgesetz zur Abstimmung zu bringen. Leute waren enttäuscht, ich auch. Es stand 50-50 mit zwei republikanischen Senatorinnen dagegen. Der Vize, Pence, hat dann die entscheidende Stimme für die Abstimmung abgegeben und so ging es mit 51-50 weiter in die erste Runde: Widerrufen von Obamacare ohne Ersatz mit zwei Jahren Zeit sich einen Ersatz zu überlegen. Da es immerhin um 1/6 der amerikanischen Wirtschaft geht scheint der Plan – na ja idiotisch in seiner Unausgegorenheit. Er scheiterte denn auch spektakulär als 7 Republikaner mit den 48 Demokraten dagegen stimmten und das Ding zu Fall brachten. McConnell und die Fieslinge wollten nicht aufgeben, immerhin geht es um schöne Steuerersparnisse für ihre reichen Freunde und so wurde der sogenannte “skinny repeal” frei übersetzt als “abgespeckter Widerruf” zur Abstimmung gebracht. Noch Stunden vor der Abstimmung wusste niemand, was eigentlich der Plan sei. Keinerlei Details wurden nach aussen gegeben, die Senatoren sollten blind abstimmen. Das ist ein eklatanter Bruch mit den etablierten (aber anscheinend nicht bindenden) Regel, dass alle Senatoren die Gelegenheit haben ein Gesetz zu lesen, zu diskutieren und Fragen zu stellen. Das Gesetz wurde schliesslich letzte für letzte Nacht auf den Plan zur Abstimmung gebracht. Es wurde sehr wenig Zeit zur Diskussion geplant und die wurde dann von Senator Enzi (einer der Fieslinge) aufgebraucht: der hat einfach das Podium für sich beansprucht und jedwede Fragen der Demokraten abgeblockt. Es war nach Mitternacht, als man zur Abstimmung schritt. Um das nochmal klar zu machen: da wurde über etwas abgestimmt, das keiner kannte, auch die Republikaner nicht, zu dem es keine Details gab aber klar war, dass es ca. 15 Mio Menschen nächstes Jahr die Krankenversicherung kosten wird. Lisa Murkowski aus Alaska und Susan Collins aus Maine hatten angekündigt, dass sie mit den Demokraten nein stimmen werden. Fehlte eine Stimme. Die Senatoren wurden einzeln aufgerufen, um abzustimmen. Der dramatischste Augenblick kam, als McCain’s Name aufgerufen wurde. Man hatte ihn vorher mit Murkowski reden sehen und dann ziemlich lange mit einer Gruppe Demokraten. McCain stand in der Mitte des Raumes, ein Arm ausgestreckt, zögerte noch eine Sekunde, um es spannender zu machen, ballte dann die Faust, (oder macht eine Daumen nach unten Bewegung, kann man im Video schwer sehen), nimmt den Arm hinunter und sagt laut “no”. Irgendjemand schnappt laut nach Luft, ein paar Leute klatschen – und die Gesundheitsreform ist jetzt endlich, wirklich hoffentlich tot – obwohl sie etwas zombie-artiges an sich hat.
Das alles habe ich heute Nacht so gegen 2 Uhr verfolgt. Es hat echt geholfen mit dem Wiedereinschlafen. Ich war immer noch etwas sauer mit McCain, weil er für die Abstimmung dieser Scheiss-Reform gestimmt hat, obwohl er selbst gerade mit Krebs diagnostiziert wurde und sich über eine gute Krankenversicherung freut. Mittlerweile habe ich das jetzt besser verstanden: hätte er gegen die Abstimmungen gestimmt, wäre das ganze Spektakel nicht zu Ende gewesen. Es wäre sozusagen ein offenes Problem geblieben und McConnell und die Fieslinge hätten es wieder und wieder probiert. So kam es zu einer Abstimmung und in der ersten Runde war seine Stimme nicht entscheidend. In der zweiten, also dem “skinny repeal” schon. Und da ist er seinem Ruf gerecht geworden und hat getan, was er für richtig hielt.
Die Strategie Hinter dem vereitelnten Widerruf
Meine Twitter-Leute behaupten zum Teil, dass es sozusagen ein abgekartetes Spiel war. Viele Republikaner wollten den Widerruf auch nicht, der ihnen echte Probleme bei der nächsten Wahl machen würde. Sie sagen, hätte McCain nicht nein gestimmt, hätte es ein anderer getan, vermutlich Lindsey Graham, damit das Ding nicht durchkommt. Aber so hat McCain, der mit fast 81 Jahren und krebskrank am Ende seiner Karriere steht, diese Rolle übernommen. Die Republikaner brauchten nur eine weitere Stimme, der Rest der republikanischen Gegner, hat sich aus strategischen Gründen zurückgehalten und mit Ja gestimmt (natürlich gibt es jede Menge Überzeugungstäter, die den Widerruf unbedingt wollten). Ob das so stimmt, oder ob McCain zusammen mit Murkowski und Collins 15 Mio Amerikaner die Krankenversicherung gerettet hat ohne Netz sozusagen, werden wohl wir erst erfahren, wenn jemand irgendwann eine Biographie schreibt.
Zum Schluss muss ich noch sagen: es wird viel geredet über McCain und seinen “maverick” Akt aber das meiste Lob gebührt den beiden Senatorinnen aus Alaska und Maine – sie waren die einzigen, die während dieser ganzen widerlichen Affäre “nein” gesagt haben, weil es ihnen um die Menschen geht, die sie repräsentieren, nicht um Parteipolitik und Steuerersparnisse für Reiche.