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Eine Konstanzerin in Kalifornien

Katastrophen Müdigkeit

Wir leben in einem Land und in einer Zeit der Katastrophen Superlativen.  Jedes Jahr ist das wärmste seit gemessen wird, jeder Sturm der stärkste seit Menschengedenken, jede Schießerei die tödlichste seit Ewigkeiten. Nach Harvey, Irma und Maria, nach Erdbeben in Mexiko jetzt erneut eine Schießerei, die eher als ungezielte Massenexekution bezeichnet werden muss: 59 tot, über 500 verletzt, zum Teil schwer.

Irgendwann fällt einem zu all dem nichts mehr ein. Irgendwann kann man einfach nicht noch mehr schlechte Nachrichten ertragen.

Am Sonntag Abend hab ich nochmal kurz die Nachrichten am iPad angeschaut, war nicht viel los.  Das übliche halt,Trump beschimpft die Bürgermeisterin von San Juan, Puerto Rico, irgendjemand anders hat auch Privatjets genommen, Kushner hat noch was “übersehen”, was er hätte angeben sollen und der Kongress hat ein Programm nicht erneuert, das für 9 Millionen Kinder die Krankenversicherung sichert.  Der übliche Wahnsinn halt. Dann noch schnell ein Blick auf Twitter und da steht was von einer Schießerei in Las Vegas.  Wenn’s nicht in den Nachrichten ist, wird es schon nicht so schlimm sein, denke ich mir, abgebrüter als man bei solchen Dingen eigentlich sein sollte, aber das ist ja schliesslich nicht die erste Schiesserei, seit ich hier bin.

Am Montag morgen war mir dann schnell klar, dass ich das komplett falsch eingeschätzt hatte.  Mal wieder ein neuer Katastrophen-Rekord: ein Verrückter knallt aus einem Fenster im 36. Stock wahllos Menschen ab.  Er hat 18 oder so Gewehre, automatisch oder zumindest halb-automatisch, was weiss ich den was der Unterschied ist, gehören alle verboten. Später höre ich Aufzeichnungen, das klingt wie Feuerwerk, ein Stakkato von kleinen Explosionen in schneller Folge. Jede Illusion von “da kann man schnell wegrennen”, die ich noch gehabt habe, ist zerplatzt. Wenn man da Mitten drin war hat man Glück oder eben nicht, machen kann man nichts, um sich zu schützen, es sei denn man steht direkt bei einem Auto oder einer Betonwand, weiß woher die Schüsse kommen, was sicher verdammt schwierig ist in dem Chaos, und ist geistesgegenwärtig genug, sich dahinter zu verschanzen.  Sonst hilft nur beten, oder eben nicht.

Ich bring das Kind zur Schule und mach dann Facebook auf, erwarte die üblichen Posts von meinen Leutchen in der Reihenfolge, in der sie aufgestanden sind: erst die Europäer und Ostküstenbewohner, dann die wenigen in der Mitte und die kalifornischen Frühaufsteher, dann der Rest der Westküste.  Zu meiner Überraschung: fast nichts.  Ich bin eine der ersten, die etwas schreibt und es ist ja schon fast 8:30 Uhr hier, also bald Zeit in New York, um Mittagessen zu gehen. Ich poste und kriege die üblichen “thumbs up” und Herzchen, ein paar andere Posten aber es ist spärlich. Twitter hat mehr, aber auf Twitter folge ich ja auch nicht Freunden und Bekannten sondern größtenteils irgendwelchen politischen Kommentatoren und liberalen Aufwieglern.

Ich wundere mich, aber dann auch wieder nicht.  Ich merke es ja an mir selber: irgendwann kann man nicht mehr.  Irgendwann hat man zu oft über Not, Chaos, Katastrophen und unendliches Leid gelesen, gegen das man nichts tun kann.  Das heißt nicht, das man nicht geschockt ist und nichts tun möchte.  Nur man kann nicht, es gibt nichts aus spenden. Das tut man, aber es fühlt sich flach und nach zu wenig an.  Selbst wenn ich es noch so sehr möchte, ich kann den Menschen in den entlegenen Ecken von Puerto Rico nicht helfen, obwohl ich weiß, dass da Leute sterben, weil sie keine Medikamente haben und die Cholera ausgebrochen ist, weil es kein frisches Wasser gibt.  Für die Leute in Las Vegas kann ich gar nichts tun, nicht mal Blut spenden, denn mein europäisches Blut wollen sie nicht, ich könnte mir ja in den 80er Jahren die Mad Cow Disease eingefangen haben.

Dazu kommt, dass ohnehin alle wissen, dass alles beim Alten bleibt. Nichts wird sich ändern an den Waffengesetzen, im Gegenteil, diese Woche noch steht eine Gesetzesvorlage zur Abstimmung an, die Schalldämpfer legalisieren soll. Dann hört man das Bum Bum Bum der Waffen nächstes Mal nicht mehr so laut. Und das es ein nächstes Mal geben wird, daran zweifelt keiner. Was soll man also tun? Was kann man tun außer resignieren.

Einer meiner Facebook Freunde, den ich sehr schätze und dessen politische Einstellungen meinen weitestgehend entsprechen, sagte es heute morgen ganz klar: Auf den typischen rechten Vorwurf mal wieder so typisch liberal emotional auf das Massaker zu reagieren sagte er sinngemäß: ich bin nicht emotional, das war ich nach Sandy Hook, als Kinder im Altern meiner Tochter abgeknallt wurden. Als sich danach nichts geändert hat habe ich aufgehört mich aufzuregen.  Es ändert sich eh nichts. Alles was wir tun können ist eine Kerze anzuzünden und auf das nächste Massaker zu warten.

Das klingt abgebrühter als er ist, da bin ich mir sicher, aber im Kern gibt es das Problem ganz gut wieder: man wird komplett fatalistisch in diesem Umfeld.

Ich habe heute mit Absicht keine Bilder hochgeladen.  Ich will nicht Bilder, die Katastrophen, Angst, Schrecken, Zerstörung und Verzweiflung zeigen verbreiten. Auf der anderen Seite will ich auch nicht salbungsvoll mit Regenbögen und Sonnenuntergängen auf heile Welt machen.  Heute also bilderlos.

Nachtrag: gerade habe ich gelesen, dass die Gesetzesvorlage, die die Regulierungen von Schalldämpfern einschränken soll auf unbestimmt verschoben ist.  “Aufgeschoben ist nicht aufgehoben” kommt einem da sofort in den Sinn. Die warten nur einen besseren Zeitpunkt ab. Ich sag ja, man ist abgebrüht.

 

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2 Comments

  1. Manuela

    Du hast mir aus der Seele gesprochen. Danke…

    • Californiagirl

      Hallo Manuela: danke für Deinen Kommentar. Lebst Du auch in den USA? Viele Grüße!

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