Ich hab’s schon lange gewusst und seit einiger Zeit auch vermehrt gespürt: die zweite Hüfte war dran. Nachdem ich die erste 2006 ersetzen lassen musste und ich die letzten zwei Jahre herumgehumpelt bin wie eine Invalide war jetzt also die zweite dran.

Hüft-OP Bild – nicht meine, aber es sieht sehr ähnlich aus

Und wie alles, was mit dem amerikanischen Gesundheitswesen zu tun hat gibt es hier eine Geschichte zu erzählen.

Das Ganze ging los nach meiner Geburt. Damals haben sie die Babies noch nicht auf schlecht ausgerichtete Hüftgelenke untersucht, hätten sie das getan, wäre klar geworden, dass ich an Dysplasie leide. Sonst vor allem bei Schäferhunden und Pferden bekannt, habe es auch Menschen und ein sicher nicht besonders spasshaftes Gipsbett damals, hätte mir das Humpeln und die OP erspart.

So ca. 20 Jahre später sagte ein Arzt zu mir: “Sie haben die Haltung einer Ente”, fühlte sich dann aber nicht bemüssigt irgendwas dagegen zu unternehmen.

So kam das also mit der Arthrose und was der erste Chirurg nach der OP in 2006 als “schlimm verwachsene Hüftknochen” bezeichnete. Der Arzt 2019 meinte dann nur: Hüft-OP, sonst gibt’s nix, das hilft.

Da ich ja das System mittlerweile kenne, war meine erste Frage sinngemäß “Und was soll der Spaß denn kosten?” Er hatte keine Ahnung, er operiert nur und rechnet nicht ab, schickte mich aber zu einer Dame, deren Aufgabe im Leben darin besteht, Leute wie mit zu sagen was der Spaß denn so kostet. Als ich in ihr Zimmer kam, sah sie nicht vom Computer auf, bellte “Versicherungsnummer!” und “Name!” was ich pflichtschuldigst angab, dann hackte sie noch ein bisschen auf den Tasten herum, um mir schliesslich mit fast hämischem Genuss sinngemäß zu sagen, dass bei der beschissenen Versicherung, die ich mir ausgesucht habe, die Versicherung – leider, leider – nun gar nichts zahlen würde.

Neue Hüfte in Konstanz?

Ich fuhr nach Hause und wußte nicht, ob ich deprimiert oder stinksauer sein sollte und war, glaub ich, beides.

Heimaturlaub mit obligatorischem Besuch der Reichenau

Kurz darauf musste ich beruflich nach Schweden, und da man von San Francisco am günstigsten über Zürich nach Göteborg kommt, konnte ich einen kleinen, ungeplanten Heimaturlaub einschieben, den ich dazu benützte im Konstanzer Krankenhaus nachzufragen, was denn so eine Hüft-OP kosten würde, ohne Versicherung, aus eigener Tasche.

Die Antwort war so ca. 10 bis 12 Tausend Euro und damit nicht gerade billig, aber sicher billiger als das Ganze in Kalifornien aus eigener Tasche zu bezahlen. Krankenhausaufenthalt mindestens eine Woche mit anschliessender Reha, wurde mir noch mitgeteilt. Nicht so toll, 2006 war ich drei Nächte im Krankenhaus, keine Ahnung wieso es jetzt eine Woche sein musste.

Mittlerweile hatte mein Mann nochmal bei unserer US Versicherung angerufen und erfahren, das, ja doch, die Hüft-OP werde bezahlt, mit Ausnahme des großen Selbstbehaltes. Allerdings immer noch weniger als die 12,000 Euro.

So absolvierte ich also eine ein-stündige Schulung, besorgte mir von Bekannten einen Rollator, und erschien am 25.11 pünktlich um 5:30 Uhr morgens im Krankenhaus – ohne Schmuck, fast nüchtern, ohne Kontaktlinsen und – anscheinend ganz wichtig – ohne Deo.

Wir fragten ganz naive wie lange die OP denn dauern wird und die Antwort war sehr spezifisch: nicht, “so ca anderthalb Stunden,” oder “sowas um die 90 Minutes” sondern “98 Minuten”.

Okay, 98 Minuten – ich war mir nicht ganz sicher, ob ich die Info beruhigend finden soll oder nicht. Auf der einen Seite hatte ich den Eindruck, dass die gesamte Prozedur durchgeplant ist bis auf die letzte Schraube und somit keine (schlimmen) Überraschungen zu erwarten sind, auf der anderen dachte ich mir, “das klingt ja wie Fliessband.”

Ich wurde für die Hüft-OP vorbereitet und hatte zeitweise drei Krankenschwestern um mich herumschwirren, die ich allerdings nur schemenhaft und an der Stimmen unterscheiden konnte, denn die Brille hatten sie mittlerweile auch einkassiert.

Dann ging’s in den OP, ich wurde auf die Seite gedreht, irgendwas piekste und das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich Geklappere um mich herum höre und offensichtlich alles vorbei war. Kurz darauf wurde ich in den Gang geschoben bis das fahrbare Röntgengerät auftauchte. Ich muss sagen, was mir gut gefallen hat, war die Tatsache, dass ich während der gesamten Aufwachphase nicht eine Minute allein war. Ein Krankenpfleger sass die gesamte Zeit neben mir, fragt immer wieder, ob ich die Zehen schon bewegen kann, ob was weh tut und beantwortete meine gemurmelten Panikattacken “ich kann die Scheiss Zehen immer noch nicht bewegen. Ist das normal???” ruhig und gelassen und versicherte mir, dass das alles ganz normal wäre.

Nachdem die Röntgenaufnahme wohl auch gut ausgesehen hat wurde ich weitergeschoben, bekam endlich meine Brille wieder, mein Mann tauchte auf und ich bekam ein belegtes Brötchen zu essen. Man soll ja nicht Hunger leiden.

So gegen 10 Uhr morgens kam dann die Stunde der Wahrheit: ich soll jetzt auf die Toilette gehen, es ist wichtig, dass man pinkelt, und wenn das nicht geht, ja dann ist das ein schlechtes Zeichen. Die Krankenschwester sah mich ernsthaft an und sagte: “also, entweder Du gehst, sonst müssen wir einen Katheder machen.” Das K-Wort versetzt mich in Angst und Schrecken und so nickte ich heftig, sagte mehrere male “selber gehen, das geht schon” und setzte mich auf. Der Rollator wurde an’s Bett geschoben und 10 Sekunden später stand ich auf beiden Beinen und schlurfte mit der frisch operierten, nagelneuen Hüfte zum Klo, tat was es zu tun gab und schlurfte ins Bett zurück.

Dann ging es schnell, Therapeutin 1 schaute schnell vorbei, Therapeut 2 auch, lies mich aufstehen und noch ein bisschen watscheln, erklärte mich zur perfekten Patientin und sagte mir, dass ich jetzt heimgehen kann.

Angetan mit dem einzigen paar Jogginghosen, die ich besitze, gestützt auf den Rollator schlurften mein Mann und ich also dem Ausgang zu. Er holte schnell das Auto, ich lies mich hineinplumpsen und wir waren noch vor ein Uhr nachmittags wieder zu Hause.

Drei Tage später war Thanksgiving – das war dann mein erster Ausflug in die grosse, weite Welt – wir fuhren nach Santa Cruz, um bei Freunden lecker Truthahn zu essen. Das im Auto sitzen war etwas unbequem und angekommen hab ich mich sehr bald auf die Couch im Wohnzimmer gesetzt und bin nicht wieder aufgestanden. Am Sonntag kochte ich Gulasch, weil wir die Nachbarn eingeladen hatten. Fleisch schneiden kann man auch im Sitzen und bewegen sollte ich mich ja ohnehin.

Die erste “kleine Runde” im nahegelegenen Park bin ich dann Mitte der nächsten Woche gegangen. Da wäre ich in Konstanz gerade mal eben aus dem Krankenhaus gekommen.

Drei Wochen lang kam dann Zachary zweimal wöchentlich vorbei, zeigte mir Übungen, gab mir einen Stock statt des Rollators und entfernte die Heftklammern, die meine Wunde zusammenhielten.

Insgesamt bin ich sehr zufrieden, alles ist gut verheilt und ich kann schon wieder recht gut laufen. Selbst die Rückenschmerzen vom krumm herumhumpeln sind schon besser geworden. Den Stock trage ich oft noch bei mir, mehr um andere abzuschrecken, als um mich darauf zu stützen. Wenn man mit dem Stock ankommt, werden plötzlich wild herumtollende Kinder zur Ordnung gerufen, Hunde enger an die Leine genommen, Türen aufgehalten und Platz gemacht. Das ist praktisch, denn das letzte was ich jetzt brauche ist von einem tollenden Kind, unachtsamen Erwachsenen oder ungebändigtem Hund angerempelt zu werden.

Irgendwie ist mir allerdings nicht klar, warum die gleiche OP in den beiden Ländern so verschieden abläuft. Hüben drei Tage, drüben fünf – ok, das würde ich verstehen, aber in Deutschland mindestens eine Woche im Krankenhaus und dann Reha und in Kalifornien um halb sechs rein und um 12 raus – das ist schon etwas extrem. Für mich hat die kalifornische Version gut funktioniert. Ich bin froh nicht eine Nacht im Krankenhaus verbracht zu haben. Allerdings hab ich Mann und Kind, die kochen und am Anfang Dinge aufheben konnten, die ich fallen lies (wenn man Dinge nicht mehr aufheben kann, scheint man sie verstärkt fallen zu lassen) und mir vor allem beim Socken anziehen und vom Bett aufstehen (ein sehr niedriges Bett ist in dem Fall ein grosser Nachteil, das weiss ich jetzt!) helfen konnten. Wer die Hilfe nicht hat, ist sicher mit zwei oder drei Tagen im Krankenhaus besser bedient.

Nächste Woche muss nochmal zum Arzt, dann kommt noch ein bisschen Therapie und das war’s dann. Hoffentlich für recht lang – Patient sein ist nervig, auch wenn man zu Hause ist und als die perfekte Patientin gilt!