Anfang Dezember, ich humpelte noch schwer durch die Wohnung wegen Hüft-OP, wurde uns schlagartig klar, dass Weihnachten vor der Tür steht und wir mal wieder keinen Urlaub geplant hatten. Das passiert uns eigentlich jedes Jahr – Weihnachten kommt halt immer so überraschend. Und so war der Plan für die 2019 Hillbilly-Tour geboren.
Als denn auch noch der beste Freund meines Sohnes mit seinen Eltern zum Abendessen kam und sie von ihrem durchgeplanten Trip nach Neuseeland erzählten wurde mir mal wieder bewusst, was für eine unorganisierte Mutter ich bin. Da musste Abhilfe geschaffen werden und zwar schnell.
Ich hatte ehrlich gesagt nicht die geringste Lust auf 14 Stunden Flug, eigentlich hatte ich gar keine Lust auf Flug aber ohne Flugzeug kommt man hier ja nicht weit und so haben Sohnemann und ich den Plan für die 2019 Hillbilly Tour entwickelt.
Wir wollten in den Süden, nicht Südkalifornien und auch nicht Florida, das ja einen denkbar schlechten Ruf hat, sondern in den “deep south”, wo die Republikaner leben, die “Rednecks” und die Hillbillies. Schliesslich, so teilte mir mein Sohn mit, sei er noch nie östlich von Utah gewesen und ausserdem wolle er mit Trumpwählern über Politik und Religion diskutieren.
Bei den Aussichten dachte ich kurzzeitige darüber nach, doch lieber nach Seattle oder Boston zu fliegen oder mir, alternativ, eine Waffe zuzulegen.
Mein Mann schaute leicht verzweifelt, da er ein paarmal im Jahr geschäftlich ins ländliche Georgia muss, findet er, dass das genug Süden sei. Aber es ist halt eine Demokratie bei uns (jedenfalls dann, wenn es zu meinem Vorteil ist) und mit 15 hat der Bub eine volle Stimme hier im Haus und damit war die absolute Mehrheit für den Süden gesichert.
Blieb die Frage: wohin? Auch das wurde schnell und pragmatisch gelöst: irgendwohin in den Süden solange es einen direkten Flug von San Jose gibt. Nach San Francisco auf den Flughafen war mir zu umständlich und Umsteigen hasse ich eh. Zu teuer durfte es auch nicht sei, um 6 in der Frühe flieg ich nirgends hin und ein Red-eye Flug kommt ohnehin nicht in Frage. Extragebühren für Koffer wollte ich auch nicht zahlen.
All diese Kriterien erfüllte dann ein Ort: Nashville, Tennessee.
Gesagt, gebucht und dann erstmal wieder vergessen – waren ja noch drei Wochen.
Die Woche vor Weihnachten habe ich dann doch mein Hilton Punktekonto geplündert und Hotels gebucht, jedenfalls für die ersten drei Nächte und dann dem Kind die weitere Planung übertragen. Zwei Tage vor Abflug haben wir dann ein paar weitere Hotels gebucht und ein Auto sowie auf ein paar Webseiten ein bisschen was gelesen. Wir waren also bestens vorbereitet auf unseren Weihnachtsurlaub, der mittlerweile den Namen “2019 Hillbilly-Tour” erhalten hatte.
Hier sind jetzt erstmal ein paar Dinge, die wir in den knapp anderthalb Wochen gelernt haben, ob wir wollten oder nicht.
- Nashville ist wie Las Vegas nur ohne Casinos aber dafür mit jeder Menge “Honky Tonk Bars” in denen überaus laute live Musik gespielt wird. Das mit der Musik scheint allerdings eher ein Vorwand zum Trinken zu sein, jedenfalls für viele. Der ganze Rummel war nicht authentisch und hat nach zwei Nächten nur noch genervt. Vielleicht ist es besser, wenn man weiss wo man hin muss, oder wenn man keinen Teenager dabei hat, der sofort ungeduldig wird, wenn er Country Music hört. Für mich war Nashville als ernstzunehmende Musikszene gelaufen, als am Freitag Abend vier Riesenbusse von der Mississippi State University College Studenten ausspuckten, die sicher nicht zum stillen Musikgenuss angereist waren.
- Überhaupt fanden wir Nashville “overrated”, der “Bicentennial Park”, der als Touristenattraktion angepriesen wurde, war ein Baustelle, wäre aber auch sonst charmelos und langweilig gewesen. Die Idee anschliessend nett am Ufer des Cumberland in die Innenstadt zurückzuschlendern klang auch besser, als sie war. Zum Glück war es heller Tag und wir waren zu dritt. Ansonsten wäre es mir mit den vielen Obdachlosen and völlig heruntergekommenen Ufer doch sehr mulmig geworden.
- Mit Trumpwählern streiten kann man in Nashville auch nicht gut, die habe dort verschärft demokratisch gewählt.
- Das mit dem südlichen Akzent ist auch so eine Sache. Ich bin ja nun doch schon länger hier und schreib für Geld und zwar auf Englisch, bin der Sprache also hinreichend mächtig – aber verstehen tu ich da oft nur die Hälfte. Ein Beispiel; “Aww need ta see ya eidee” alles gesprochen als wenn es ein Word wäre. Da musste ich dreimal nachfragen “excuse me, could you say that again?” bevor ich verstanden habe, dass sie mir keinen Wein verkaufen wollte, ohne überpüft zu haben, dass ich 21 bin (ehrlich jetzt? das ist in meinem Alter kein Kompliment mehr!)
- Apropos Wein kaufen: den haben wir in Cookeville im Aldi erstanden. Die haben da ernsthaft Aldis, deutsche Aldis, gleiches Logo und so. Die Läden sind größer aber die Gänge viel breiter, also haben die weniger Zeug, vor allem viel weniger Kekse und Schokolade. Die Moser Roth gabs, Gummibären auch. Und besagten Wein.
- Apropos Aldi, die Amis kapieren das mit dem Pfand für die Einkaufswägen nicht. Auf Yelp hat sich einer beschwert, dass es Geld kostet einen Wagen zu nehmen. Blödmann, dachte ich, sicher ein Einzelfall. Bei unserem zweiten Aldibesuch standen dann direkt hinter der Kasse drei Einkaufswägen herum. Das Kind und ich sahen uns an und taten dann das Einzige, was wir Deutschen (der Bub ist ja auch Deutscher) in so einem Fall tun können: Wägen zusammenschieben, raus fahren, anketten, Pfand einkassieren. Direkt neben uns, wir kassierten gerade den vierten Pfand-Quarter, stellte eine Frau ihren Wagen ab, ohne anketten, ohne Quarterentnahme. Auch gut, den schoben wir den auch noch rein und machten fette Beute: insgesamt $1.25! In zwei Minuten. Bei einem Mindestlohn von $7.25 die Stunde scheint mir mittlerweile die Job-Alternative “beim Aldi abhängen und Wägen zurückbringen” vernünftig und logisch zu sein.
- In Murfreesboro schien meinem Sohn dann endlich das Glück hold zu sein: wir fanden ein Büro der Republikaner. Schon von Weiten sahen wir den Elefanten (das Wappentier der Republikaner) prangen. Leider, leider (oder vielleicht auch nicht) war das Büro geschlossen. Keine Menschenseele zu sehen und so musste das Streitgespräch weiter vertagt werden.
- Ich muss ja überall auf Flohmärkte und weil das Angebot and Flohmärkten zwischen den Jahren bestenfalls beschissen ist hab ich ein paar kleine Städtchen herausgesucht, die hübsch anzusehen sein sollen und ausserdem über Antikläden verfügen. Kann ja nicht so teuer sei, im ländlichen Tennessee, hab ich mir gedacht – naiv wie ich manchmal bin. Das erste Städtchen, das wir und ansahen, heisst Franklin und ist ca 30 Meilen von Nashville. Amerikanisches Bilderbuch-Städtchen mit Main Street, hübschen Häuschen, einem zentralen Platz mit Riesenchristbaum und irgendwelche Bürgerkriegsinformationstafeln alle drei Meter. Niedliche Läden, Cafes und Restaurants fehlten auch nicht. Allerdings: billig ist anders, ich dachte ich hätte mich mal kurz nach Kalifornien verirrt. Die gleichen Holzbrettchen, Tassen, Küchentücher, die man bei uns findet mit “Irgendeine Stadt, CA” und einer Strandszene gab es hier mit Franklin, TN und hübschen Häuschen – zum selben Preis, obwohl die Leute hier (hab ich extra nachgesehen) im Durchschnitt die Hälfte verdienen. Nach dem vierten Geschenkladen auf den ersten 200 Metern war mir dann allerdings auch klar, dass sich das Angebot nicht an die Einheimischen richtet. So viele Geschenke können die paar tausend (höchstens) Einwohner nie im Leben verbrauchen.
- Jetzt muss ich Euch noch von Bell Buckle erzähle. Am letzten Tag – es war der einzige wettertechnisch scheussliche Tag, einer der Tage, die einen nebligen Novembertag in Konstanz schön erscheinen lassen – fuhren wir von Chattanooga zurück nach Nashville und sahen ein Schild Richtung Bell Buckle. Mein Mann beschloss aus mir unerfindlichen Gründen, dass wir uns die Stadt im strömenden Regen ansehen sollte. 20 Minuten später fuhren wir in Bell Buckle ein und sahen erstmal ein Riesenareal, das anscheinend zu einer Schule gehörte. Kurz darauf fanden wir dann den Antikladen kombiniert mit Eisdiele (Eis können die Jungs immer essen) im Stadtzentrum, wenn man die zwei kurzen Blocks mal so nennen kann. Alles hübsch, alt, niedlich und wieder: kalifornische Preise. Die alten Sachen waren zu Fantasiepreisen zu haben. Nie im Leben könnte ich auf einem Antikmarkt in der Bay Area so viel Geld für alte Tassen, Bücher oder Backformen bekommen. Am schlimmsten waren die Blechschilder, unter $300 war da nichts zu kriegen. Ich kam dann mit dem Besitzer ins Gespräch und fand heraus dass: jährlich 500,000 Leute Bell Buckle besuchen, er im Durchschnitt 1,000 Leute pro Tag in seinem Laden hat, heute mit ca. 200 Leuten der ruhigste Tag seit Menschengedenken war, die Schule eines der renommiertesten Internate in ganz Amerika ist (kostet auch “bloss” $66.000 pro Jahr, Kost und Logis inklusive, $47.000 exklusive) und das er am Wochenende an ein Paar aus Florida Zeug für über $6.000 verkauft hat. Soviel zum Thema “wir entdecken das vergessene, ländliche Tennessee”.
Mehr über unsere 2019 Hillbilly-Tour ein andermal. Wir sind schon am überlegen, wo die nächste Hillbilly-Tour hingehen soll. Das Streitgespräch steht noch aus!
Hier noch ein paar Bilder, lästigerweise lässt mich WordPress, die Dinger nicht in ein Liste einfügen.