Früher konnte man sich noch normal mit Leuten unterhalten.  Ohne Hintergedanken.  Heute kann man das nur noch, wenn sie  im kalifornischen Küstenstreifen, New York, ein paar liberalen Großstädten oder in Neu-England wohnen.  Beim Rest muss man aufpassen, sonst sagt man noch was, was den 3. Weltkrieg oder zumindest einen Buegerkrieg heraufbeschwört. Das ist eines der Probleme, wenn plötzlich alles politisch ist.

Politisch

Alles ist politisch, bis hin zum neuen Outfit, dass man sich kauft

Okay, das war jetzt natürlich wieder leicht übertrieben aber es ist wirklich so, wir leben in einer Zeit in der praktisch alles politisch ist. Angefangen mit den Läden in denen man einkauft oder nicht mehr einkauft (alle, die noch Ivanka Trumps Zeug verkaufen), über die Medien, die man konsumiert (Fox News, die rechte Propaganda-Maschine oder Huffington Post, die links-liberalen, die auch gelegentlich die Wahrheit ein bisschen dehnen), bis zu welchen Leuten man auf Twitter folgt (@realDonaldTrump, wo man live Trumps Wutanfälle miterleben kann oder @RoguePotusStaff, die einem Einblicke der nicht so schmeichelhaften Art hinter die Kulissen des Weissen Hauses geben) bis hin zum Essen – Burger und Fritten oder Sushi – alles ist politisch.

Eine un-politische Unterhaltung mit einer Texanerin

politischHeute habe ich es am eigenen Leib erlebt.  Für meine Webseite A Varied Life habe ich ein Interview gemacht.  Ich habe die Frau über Facebook kennengelernt, sie hat wie ich einen Etsy Laden und ich wollte sie zu dem Thema interviewen.  Wir reden also und verstehen uns prächtig, sie erzählt über die Sachen, die sie macht und verkauft und dass sie manchmal von morgens früh bis tief in die Nacht an der Nähmaschine sitzt.  Sie bietet mir Hilfe an, wenn ich mal eine Frage zum Thema Nähen habe und alles läuft wunderbar.  Dann erwähnt sie noch, dass sie in Texas lebt und ihr Mann Fernfahrer ist.  Oh, denk ich, Vorsicht, Trump-Wähler, jetzt bloss nicht sagen, was Du denkst, sonst kannst Du das Interview vergessen.

Wir bringen das Interview zu einem guten Ende, tauschen noch Email Adressen aus.  Sie will mir Bilder schicken und sich meinen Laden ansehen.  Alles gut.  Wir hängen auf.

und dann eine Facebook-Einladung – was nun?
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Kann man als Kalifornien noch mit einer Texterin reden, ohne einen Bürgerkrieg auszulösen? Bildquelle

Drei Minuten später schickt sie mir eine Nachricht auf Facebook – sie würde mich gerne “freunden”.  Noch vor ein paar Monaten wäre die Antwort gewesen “klar, super, machen wir sofort!”  Jetzt sass ich da und dachte: Wie eine Facebook-Freundin in Texas und nicht mal in Austin – das geht nicht! Die fällt sicher in Ohnmacht, wenn sie sieht, was ich alles an linksliberalem Zeug hochlade (um das mal zu relativieren, in Deutschland würde das alles höchstens als zentristisch gelten, niemals als links oder sogar radikal links).  Ich schrieb ihr dann zurück – gern ja, ABER ich muss jetzt vorneweg sagen, dass ich eine liberale Kalifornierin bin, da könnte uns die Politik dazwischen kommen.

Es dauerte eine Weile, dann schrieb sie zurück, dass das schon okay sei, sie sei eine moderate Konservative.

Wir sind jetzt also Facebook-Freunde und sie wird sich an meine Anti-Trump Tiraden gewöhnen müssen, denn sonst sind wir es nicht lange.  Schon schade, wenn ein Land so polarisiert ist, dass man nicht ohne Sorge, eine Facebook-Einladung annehmen kann.

Na ja, vielleicht öffnet das ja eine Möglichkeit zum Dialog mit jemandem, mit dem ich sonst nie die Gelegenheit hätte zu reden und damit hoffentlich auch die Möglichkeit klar zu machen, dass wir liberalen Kalifornier nicht die ausgeflippten Todfeinde sind, als die uns Trump gerne hinstellt.