Eine Konstanzerin in Kalifornien

NEIN!

Ich bin sprachlos, wortlos!  Bitte fragt mich nicht, ich kann es nicht erklären.  Es gibt nichts was ich sagen kann, dass dieses Disaster erklären könnte.  Dieses Land hat seinen Verstand verloren, seine Seele und sein Herz.

Es gibt nichts was das schönreden könnte, die Durchhalteparolen, die auf Facebook schon aufgetaucht sind sind reflexartige Reaktionen eines traumatisierten Volkes (oder jedenfalls der Hälfte eines Volkes), das zurückfällt in die alten Verhaltensmuster: Optimismus – everything will be alright.

Sorry, nein, es wird nicht okay sein.  Wenn wir Glueck haben wir es keine totale Katastrophe.

Mein 12-jähriger Sohn ist komplett traumatisiert.  Wir erklärt man einem klugen, rational denkenden (im Rahmen des Möglichen) Kind, dass die Hälfte des Volkes einen brüllenden Demagogen einer qualifizierten Frau vorzieht?  Wir erklär ich ihm, was die Konsequenzen für ihn persönlich sein können?

Gestern nacht und heute morgen habe auch ich Durchhalteparolen ausgegeben.  Ich hab ihm immer wieder – und mir selbst natürlich auch – gesagt: wir sind alle gesund, wir sind alle intelligent und wir haben alle zwei Pässe. We will be okay!

Es stimmt, dem grossen Rest geht es dreckiger.

Draussen scheint die Sonne, die Flugzeuge fliegen, am Nachbarhaus wird gehämmert.  Es könnte eine normaler, schöner Herbstmorgen in Kalifornien sein.  Aber es ist ein Alptraum.  Ich denke and die Arbeiter auf der Baustelle, möglicherweise Illegale, und wie die sich fühlen müssen.  Dagegen ist mein Schock und Entsetzen wie ein kleiner Klaps verglichen mit einem Faustschlag ins Gesicht.

Ich trage schwarz, eine dumme, kleine Geste aber Ausdruck meiner Trauer und meines Schocks.  Was kann man schon tun? In den bewaffneten Widerstand gehen?   Eher nicht.

Ich bring jetzt das Kind zur Schule und geh anschliessend freiwillig bei einer gemeinnützigen Organisation aushelfen.  Ich hab mir überlegt abzusagen.  But the show must go on – und es ist besser nicht mit meinen Gedanken allein sein zu müssen.

Entsetzen

Lahmendes Entsetzen liegt über dem Land, jedenfalls über den Teil in dem ich mich bewege.  Jeder will aber keiner kann darüber reden.  Keiner weiss was er sagen soll, wie er irgendwas erklären soll – sich selbst oder anderen.  Ich habe die letzten drei Stunden mit einer Gruppe Frauen verbracht, meist älter als ich, es brodelte unter der Oberfläche.  Alle wollte irgendetwas sagen oder tun, dass es besser gemacht hätte – aber keiner wusste was.  Oder eher: jeder wusste, dass man nichts sagen oder tun kann, das irgendwas besser macht.

Das Gefühl ist wie bei einem plötzlichen Todesfall. Man will etwas Tröstendes sagen, sagen dass alles gut wird, aber die Worte klingen hohl und falsch.  Man lenkt sich ab, widmet sich der Aufgabe, mit der man gerade beschäftigt ist und schreckt dann hoch mit einer plötzlichen Angstattacke: der Oberste Gerichtshof – oh Gott, die Atomwaffenarsenale, die Weltwirtschaft, Frauenrechte, Massenabschiebungen.

Unabhängigkeit Kaliforniens – das kam mehrere Male.  Lasst uns unabhängig werden mit Obama als Präsident.  Die einzige gute Idee, die ich heute gehört habe.  Die andere, halb ausgesprochenen, kann ich in einem öffentlichen Blog nicht schreiben.  Wer weiss wer mitliest.

Heute nachts ist angeblich die Webseite der kanadischen Immigrationsbehörde unter dem Ansturm zusammengebrochen.  Kein Wunder.  Eine der Frauen brachte eine Freundin aus Neuseeland mit – alle wollten sofort wissen, wie man nach Neuseeland auswandern kann.   Dann legt sich die Aufregung wieder, denn alle wissen, dass sie nicht einfach nach Neuseeland auswandern können.

Ich habe einen deutschen Pass.  Alle waren neidisch.

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2 Comments

  1. Eric

    Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird…
    Diese Meinung versuchen uns die Medien aufzudrängen.
    Ich sehe das völlig anders.
    Der wird seine Ziele versuchen durchzusetzen, koste es was es wolle!
    Das wird nicht nur negative Auswirkungen auf die USA haben, sondern auf den Rest der Welt. Auch für unser – ohnehin schon zerstrittenes – Europa wird das negative Folgen haben.
    Der will einen tiefen Fußabdruck in der Geschichte der USA hinterlassen.
    Ich kann nur hoffen, dass ihm das nicht gelingen wird.

    • Californiagirl

      Ja, das befruchte ich auch. Ich hab hier auf NPR (verlässliche Nachrichten) gehört, dass die Franzosen sich Sorgen machen, dass sowas auch bei ihnen passieren könnte. Von Österreich mal ganz zu schweigen!

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