Einkaufstourismus

Einkauftourismus, Bildquelle

Es gibt immer wieder Probleme, die unlösbar sind – selbst mit gutem Willen von allen Seiten, den es allerdings oft nicht gibt, weil ein Teil dessen, was das Problem unlösbar macht die Tatsache ist, das der vielleicht anfänglich noch vorhandene gute Willen im Laufe der Zeit erodiert ist. Der der Konflikt im Nahen Osten ist sicher eines der berüchtigten Beispiele für einen unlösbaren Konflikt.  Meine deutsche Heimatstadt hat auch einen: der schweizer Einkaufstourismus.

Ein – allerdings nicht ganz unbeteiligter – Blick aus der Ferne, auf das Problem mit dem Einkaufstourismus, das keine Lösung zu haben scheint, wenn man mal von davon absieht, dass es vermutlich irgendwann die Makroökonomie wieder richten wird.

Vor vielen Jahren strömten die Deutschen an katholischen Feiertagen, die in der Schweiz meist nicht frei sind, in die Schweiz und kauften Nudeln und Schokolade in den Supermärkten.  Es war billiger und angeblich besser.  Bis aus dem Schwäbischen kamen die Einkaufstourist und haben sich die Wägen vollgeladen.  Ich habe das an eigenen Leib erlebt, denn damals hab ich in den Ferien und an freien Tagen oft beim Migros Supermarkt in der Schweiz gearbeitet.

Jetzt ist es genau umgekehrt: die Schweizer kommen – in Scharen.  Nicht nur sind viele Produkte in Deutschland 30 – 50% billiger, als nicht-EU Ausländer erhalten die Schweizer auch noch die 19% (oder 7%) an Mehrwertsteuer zurück, wenn sie die Waren ausführen. Also kommen sie und kaufen ein – und wie!

Chaos in Konstanz

Den Konstanzer Einzelhandel freut es, die Restaurants und Frisöre auch, auch die Autoreparaturwerkstätten und sonst alle, die Produkte oder einen Service anbieten.

Die Konstanzer freut es nicht mehr.  An besonders chaotischen Wochenenden wird die Stadt von ca. 83,000 Leuten von 40,000 Einkaufstouristen aufgesucht.  Das führt zu absolutem Verkehrschaos auf den Strassen und den Zöllen, dichtes Gedränge in den Läden, lange Schlangen vor allem an den Kassen, leergefegte Regale in einigen Läden, vor allem Drogeriemärkte, und dazu dass die Preise, z.B. in Restaurants stark angestiegen sind und man als Einheimischer oft keinen Platz im Cafe oder dem Restaurant mehr findet und man sich wie in der Schweiz vorkommt, weil man nur noch Schwyzerdütsch hört.

Einkaufstourismus

Verkehrschaos, Bildquelle

An einem Adventswochenende letztes Jahr muss es wohl so schlimm auf den engen Zufahrtsstraßen der Stadt zugegangen sein, dass selbst die Polizei aufgab.  Sie überließen den Verkehr sich selbst, gaben jeden Versuch zu regeln und zu lenken auf und hofften, dass sich früher oder später alles irgendwie auflösen würde.  Hat es dann auch, aber nur nach Stunden des Chaos und das einzig Gute an der Sache war, dass es nirgends brannte und niemand einen Herzinfarkt oder ähnliches hatte, Rettungsfahrzeuge wären nie und nimmer durchgekommen.

Einige verdienen sich eine goldene Nase und wollen nichts tun, was den Ansturm auch nur ein bisschen dämpfen könnte.  Der Rest hat die Schnauze voll und will endlich wieder seine Ruhe haben und ohne Nahkampfeinlagen an einem Samstag auf der Markstätte einen Platz im Eis-Cafe ergattern, ein oft illusorischer Traum.

Schweizer Sicht

Die Schweizer Einkaufstouristen-Seite hört sich dann so an: wir bringen Euch viel Geld, wieso regt ihr Euch darüber so auf?  Ohne die Schweizer Kunden wäre Konstanz ein Provinzkaff ohne grosse Einnahmequellen, es geht Euch gut wegen uns, freut Euch doch! Dass das zum grossen Teil stimmt, kann man nicht abstreiten.

Der schweizer Einzelhandel sieht das auch anders. Kreuzlingen, das so mit Konstanz verwachsen ist, dass man nicht wüsste wo das eine anfängt und das andere aufhört, verliefe da nicht eine EU-Aussengrenze zwischen den beiden Städten, hat in den letzten Jahren wegen des Einkaufstourismus 50% seines Einzelhandelsumsatzes verloren. Da wird dann gerne an den Patriotismus appelliert und das man als Schweizer in der Schweiz kaufen soll.  Das ist jetzt keine Überraschung, aber als Zynikerin hätte ich gleich sagen können, dass das nicht so toll klappt, das Schnäppchen jagen ist allemal wichtiger als der Patriotismus.

Erschwerend kommt die sehr angespannte Wohnungssituation in Konstanz dazu und die Tatsache, dass man in der Schweiz viel mehr verdient, für den gleichen Job zum Teil doppelt soviel wie in Deutschland, speziell im Gesundheitsbereich.  Massenhaft wandern deutsche Ärzte und Krankenpersonal an Schweizer Krankenhäuser ab und kaufen sich in im schweizer Zollgrenzgebiet moderne Eigenheime, die in Deutschland heftig beworben werden. Jetzt dreht sich die Argumentation um, die Schweizer wollen die ganzen Ausländer nicht und wollen Schweizer Jobs für Schweizer Bürger und die Deutschen sagen “freut Euch doch, dass wir da sind, ihr habt ja nicht genug Leute, die diese Arbeit bei Euch machen wollen.” Dieses Argument ist, wie ich aus nicht repräsentativen Umfragen weiss, durchaus wahr, Schweizer Krankenhäuser werben gezielt Arbeitskräfte in Deutschland ab.

Zu den ganzen Schweizer Einkaufstouristen kommen jetzt also jede Menge Deutscher, die in der Schweiz leben und dort viel Geld verdienen, niedrigere Schweizer Steuern zahlen, die auch mit den Autos (mit Schweizer Kennzeichen) nach Konstanz zum Einkaufen gedüst kommen und ihre Kinder in Konstanzer Schulen schicken.

Die Mehrwertsteuer-Rückerstattungs-Geschichte macht alles noch schlimmer. Um am Zoll den nötigen Stempel zu bekommen, mit dem man dann eine Gutschrift für die Mehrwertsteuer bekommt, braucht man einen speziellen Zollausfuhrschein. Diese Dinger sorgen an den ohnehin schon völlig überlasteten Kassen für Ärger, da sie den Prozess des Abkassieren doppelt verlangsamen.  Zum einen muss für den Kauf ein Zettel ausgestellt werden, Belege müssen angetackert werden – das dauert – und zum zweiten werden die Gutschriften dann auch im Laden wieder eingelöst.  Da steht man dann also in der Schlange und wartet endlos, weil schon der Fünfte vor einem der Kassiererin einen Bündel an Gutschriften hinstreckt, die dann eingetippt werden müssen.  Anschliessend wird dann für den ganzen Einkauf noch ein Zollzettel verlangt. Die Konstanzer fühlen sich verarscht, nicht nur wird ihre

Einkaufstourismus

So ein Anblick ist nicht ungewöhnlich an einem Samstag nachmittag. Bildquelle

Stadt überrannt und ihre Regale leer geräumt (das ist übrigens keine komplette Übertreibung, ich bin selbst schon mal vor einem Regal gestanden, wollte ein Deo kaufen und so ca. 10 Meter Fläche, wo die Deos hätten sein sollen, war leer, es gab noch zwei oder drei extra-herb aber sonst alle weg), sondern dann bekommen die Schweizer auch nochmal 19% geschenkt und dieser Prozess macht alles nur noch langsamer.

So, und jetzt befinden wir uns Mitten in einer Situation, für die es keine vernünftige Lösung mehr gibt und die sich ständig hochschaukelt und jeder sich nur noch in seine Argumente verbeisst.  Solange der Franken so stark ist und die Schweizer Preise so extrem hoch sind wird sich auch an der grundlegenden Situation nichts ändern.  Jeder hier in Konstanz gibt zu, dass er/sie auch in die Schweiz fahren würde, wenn er/sie dort für die gleiche Gesichtscreme oder ein Kilo Rindfleisch die Hälfte bezahlen würde also versteht man das Verhalten grundsätzlich aber weil es halt das eigene Leben so schwierig macht hat man keine Toleranz mehr.  Ich kenne praktisch keine Konstanzer, die noch am Samstag Einkaufen gehen, Freitag nachmittag auch nicht und Montag scheint mittlerweile auch ganz schlimm zu sein.  Umgekehrt wird natürlich jetzt auf den Schweizern herumgehackt, auch wenn sie ohne Zweifel mit ihrem Einkaufstourismus das ihre dazu tun, dass es Konstanz wirtschaftlich gut geht.

Ein Lösungsvorschlag

Ändern kann man das nicht und ich fürchte irgendwann wird es mal zu einem Eklat kommen, man hört immer wieder Geschichten von Streitereien und Handgreiflichkeiten.  Eine Idee war, dass man wie andere Länder und Gemeinden einen Grenze einführt: wer unter 50 Euro kauft, bekommt keinen Zollzettel, da das ein Bagatellbetrag ist.  Natürlich ist dieser vernünftige Vorschlag vom Einzelhandel abgeschossen worden, die wollen nicht einen Schweizer Kunden vergraulen und im Gegensatz den Einkaufstourismus noch fördern. Beschämend ist, dass man sich hier vom Einzelhandel so gängeln lässt.  Der Einzelhandel hat bislang massiv profitiert und so sollten sie jetzt auch ihren Teil dazu beitragen, dass sich die Situation entschärft.  Aber wie immer und überall steht Profit an erster Stelle und so schimpfen alle weiter und ein Lösung des Problems ist nicht in Sicht.