Eine Konstanzerin in Kalifornien

Radfahren in Silicon Valley – von einer die auszog, das Leben zu riskieren

Radfahren

Jedes Jahr wieder: gute Vorsätze

Jedes Jahr nach unserem Sommerurlaub in Konstanz nehm ich mir vor, dass wir dieses Jahr zu Hause in Kalifornien aber wirklich mehr Radfahren. Jedes Jahr sehe ich nach zwei Versuchen ein, dass ich mal wieder absolut naiv war: Radfahren im Silicon Valley ist nur was für Lebensmüde.

Radfahrer – die unbekannte Spezies
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So geruhsam geht es hier leider selten – oder nie – zu.

Es kommen mehrere Faktoren zusammen, die es hier einem fast unmöglich machen sicher mit dem Fahrrad sicher von A nach B zu kommen. Fangen wir mal mit dem offensichtlichen an: hier fährt keiner Fahrrad, von daher denkt niemand an Fahrradfahrer, rechnet niemand mit Fahrradfahren und übersieht jeder, dass da ein Fahrradfahrer an der Kreuzung steht und auch gern rüber möchte. Ich kann gar nicht aufzählen, wie oft ich schon einfach übersehen worden bin. Ich glaub nicht, dass mich ernsthaft jemand umfahren will, das macht zu viel Ärger, aber die Autofahrer schauen einfach nicht.

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Dazwischen mit em Fahrrad – nein danke!

Erst gestern bin ich wieder fast unter so einen vermaledeiten Minibus geraten, weil die Fahrerin rechts abbog und zwar so ca. 3 cm vor mir. Ich wollte geradeaus. Für eine Sekunde hab ich mir überlegt, ob ich der Tusse nachfahren und ihr gründlich meine Meinung sagen soll. Ich weiß genau wo sie hinwollte, sie war spät dran, um ihr Kind zur Schule zu bringen, da wird dann nicht geschaut, sondern einfach schnell abgebogen. Ich hab’s dann gelassen, ich bin mir nicht sicher, dass ich mich ohne unakzeptable Schimpfworte, die mit dem Buchstaben F anfangen, hätte ausdrücken können. Und so was vermeidet man dann besser. Ehrlich gesagt bereue ich das jetzt ein bisschen, die/der Nächste, die/der mich an dieser Ecke schneidet (es ist nur eine Frage der Zeit) ist dran. Sonst lernen die das nie.

Fahrradwege – ein guter Anfang, wenn sie nicht zum Parken benützt werden

Es gibt immer mehr Fahrradwege, auch entlang der großen Straßen was ein guter Anfang ist, aber Radfahren entlang einer 6-spurigen Straße – auch auf einer Extra-Spur – wo es bis vor drei Monaten noch keine Extra-Spur gab – ist trotzdem lebensmüde. Die Autofahrer halten das alle erstmal für eine Parkgelegenheit oder eine Abbiegespur. Dass da Radfahrer unterwegs sein könnten, kommt den meisten noch nicht mal in den Sinn.

Keine Radfahrtradition
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Noch ein Lebensmüder

Ehrlich gesagt haben auch die Radfahrer, außer uns und ein paar anderen wagemutigen Europäern, auch keinen Plan. Da es keine Radfahr-Tradition gibt wird hier ein Scheiß zusammengeradelt, der nicht mehr witzig ist. Kinder und Erwachsene gleichermaßen fahren ohne Licht, auf der falschen Seite der Straße, auf den Gehwegen, ohne rechts und links zu schauen. Es ist ein Graus.
Mittwochs hat mein Sohn später Schule, da fahren wir mit dem Fahrrad. Eigentlich sollte ein 12-jaehriger allein zur Schule radeln können, vor allem einer, der das schon ein Jahr lang in Deutschland getan hat ohne irgendwelche Probleme. Aber ich trau mich nicht, ihn allein fahren zu lassen – siehe oben: völlig ahnungslose Minibus-Fahrer. Also fahr ich mit und was ich da jeden Mittwoch sehe ist unglaublich: Helme tragen sie alle, das kapiert jeder, aber die Hälfte der Kinder hat den Helm nur keck auf dem Kopf sitzen und den Kinnriemen locker herumschlenkern. Der Helm kann also bestenfalls als Mode-Accessoire bezeichnet werden. Dann fahren sie auf dem Gehsteig, wie die Dreijährigen in Deutschland, weil das sicherer ist, aber aus irgendwelchen Gründen meist auf der falschen Seite. Wenn es dann auf dem Gehweg eng wird, was in der Nähe der Schule immer der Fall ist, fahren sie einfach auf die Straße und fahren da – sehr oft auf der falschen Straßenseite weiter.
Ich ärgere mich über soviel Blödheit und mach mir um die Kinder Sorgen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwas Schlimmes passiert. Aber die Kids können eigentlich gar nichts dafür, die wissen es nicht besser und ein guter Prozentsatz der Eltern, die ihre Kinder mit dem Rad in die Schule fahren lassen, haben vermutlich selbst noch nie auf einem Rad gesessen und haben keine Ahnung wie das funktioniert.

Mehr Radeln – leider nein
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Mehr Radwege sind toll, aber es wird noch dauern, bis hier alle auf Radfahrer eingestellt sind.

Wir freuen uns natürlich, dass Radfahren hier endlich aufgewertet wird, dass Fahrradwege eingerichtet und das Kinder ermutigt werden mit dem Rad zur Schule zu kommen, statt mit dem Mama-Taxi.  Aber es fehlt leider eine systematische Verkehrserziehung für Radfahrer und Autofahrer oder so ca. 20 Jahre, bis sich alle an Fahrradfahrer gewöhnt haben. Bis dahin radeln wir selten, nur bei Tageslicht, am liebsten auf Nebenstraßen und extrem defensiv. Spaß, muss ich sagen, macht das nicht.

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2 Comments

  1. Eric

    Ich wäre da verdammt vorsichtig!
    Du beschreibst das ja in einem anderen Beitrag, dass man auch bei einer roten Ampel erwartet, dass man – wenn man Rechtsabbieger ist – fährt, wenn kein Auto kommt…
    Ich sag’s mal so: Fußgänger kannst du abschätzen aber Radfahrer – gerade auch, weil die Amis das nicht so richtig kennen – können die garantiert nicht abschätzen. Radfahrer sind viel schneller als die Fußgänger und aus dieser Situation heraus, ist ein Crash vorprogrammiert. Ich sehe das sehr kritisch, wirklich!

    • Californiagirl

      Ja, das stimmt, die Rechts-Bei-Rot-Abbiegerei, so schön es für Autofahrer ist, ist sehr gefährlich für Radfahrer. Da muss man wirklich höllisch aufpassen. leider dauert es auch sehr lange, bis Leute lernen ordentlich zu schauen.

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