San Francisco TenderloinAls ich vor langer Zeit zum ersten Mal Kalifornien besuchte und bei Freunden in Oakland abstieg wurde ich gewarnt: geh nicht in den Tenderloin in San Francisco. Vor allem nicht nachts aber auch besser nicht tags über. Zu gefährlich! Ich hab mich viele Jahre einigermassen daran gehalten aber jetzt mit zunehmender Gentrifizierung stellt sich die Frage: was wird aus dem Tenderloin?

San Francisco TenderloinZwei wichtige Informationen zu Anfang: Tenderloin heisst Filetstück, also das beste Stück und wenn man sich die Lage des Tenderloin anschaut versteht man den Namen. Zwischen Downtown mit Union Square und dem Finanzdistrikt auf der einen Seite, begrenzt von der Market Street und dem reichen Nob Hill sowie dem Bereich um das Rathaus ist der Tenderloin mitten drin in Stadtteilen, die von teueren Läden, schicken Bars, Technologieunternehmen, Kunstgalerien, hochpreisigen Serviceanbietern und Luxusapartments nur so strotzt.  Der Twitter Firmensitz ist gleich über die Market Street, Square und Über sind nicht weit, und alle Hotels, die Rang und Namen haben, sind in einer oder mehreren Ausführungen um den Tenderloin zu finden.

Um den Tenderloin, denn im Tenderloin sieht es anders aus: Gebäude, die bessere Zeiten gesehen haben, Obdachlose, Drogensüchtige, Betrunkene, psychisch Kranke. Aber auch: kleine familienbetriebene Läden, die es schon seit Ewigkeiten gibt, unkomplizierte Bars, in denen keine Espresso Martinis auf der Karte stehen und  vor allem eins: bezahlbarer Wohnraum. Raum ist in dem Zusammenhang ein bisschen viel gesagt, der Tenderloin hat eine Menge sogenannter Single Room Occupancy Hotels. Absteigen, würde man da auf gute deutsch wohl dazu sagen. “Hotels” also, die ihre kleinen Zimmer zu billigen Preisen langfristig vermieten. Ein paar Quadratmeter, Klo und Bad im Gang, keine Küche. Das können sich auch Arme leisten, die schon lange keine Chance mehr haben sich in San Francisco eine Wohnung mieten zu können. Der Grund, warum diese SROs, wie sie genannt wurden nicht schon längst abgerissen sind und durch teuere Touristenhotels und neue Stahl- und Glasstürme ersetzt wurden ist einfach: Bestandsschutz und Eigentümerverhältnisse. Ein guter Prozentsatz der SROs gehört gemeinnützigen Organisationen, denen daran liegt auch für Arme eine Bleibe in San Francisco anzubieten und San Francisco verbietet seit 1981 SROs in Touristenhotels umzuwandeln und neuerdings auch solche Räume kurzfristig, z.B. an Touristen zu vermieten.

Der Tenderloin hat Gentrifizierung bislang einigermassen überstanden

Der Tenderloin, im Gegensatz zu anderen ehemals bezahlbaren aber heruntergekommenen Stadtteile wie z.B. South of Market, hat Welle nach Welle von Gentrifizierung überstanden. Nicht ohne Schaden aber immerhin. Doch der Druck steigt, San Francisco hat eine Wohnungskrise allererster Güte, eine Einzimmerwohnung (bei deutschen Standards ist das eine Zweizimmerwohnung, denn hier zählt man nur die Schlafzimmer, dass eine Wohnung ein Wohnzimmer hat wird vorausgesetzt. Ein one bedroom apartment hat also Küche, Bad, Wohnzimmer und ein Schlafzimmer) kostet im Durchschnitt fast $3,400. Für eine Zweizimmerwohnung, also was man mit einem Kind schon brauchen würde, liegt die Zahl bei $4,500. Kein Wunder also, dass die Geier zirkeln und sich Bauunternehmer die Finger lecken bei dem Gedanken, die alten versifften SROs abzureissen und was Schönes, Glänzendes zu errichten, dass dann an die gut verdienenden Angestellten der Technologiefirmen vermietet werden kann oder an Touristen. Wie mir ein Freund, der den San Francisco Hoteliersverband leitet, neulich sagte: San Francisco ist praktisch immer ausgebucht.

Der Widerstand ist seit den 70ger Jahren aktiv und die Auflagen der Stadt helfen, aber es ist fraglich wie lange der Tenderloin dem Druck noch statthalten kann. Viele der Menschen, die im Tenderloin leben haben selbst zu viele Probleme, um aktiv zu sein, die Organisationen, die sie vertreten kämpfen gegen eine Übermacht an Geld und Einfluss und natürlich ist es für San Francisco auch keine tolle Werbung, wenn Besucher 2 Blocks von ihren schönen Hotels entfernt über schlafende Betrunkene stolpern, ständig angebettelt werden und gelegentlich in einen Haufen Scheisse treten, den ein Obdachloser da hinterlassen hat. Das gleiche gilt natürlich auch für die Anwohner benachbarter Gebiete, die extrem hohe Mieten zahlen, aber sich nicht sicher fühlen und auch in Scheisse treten (das hab ich jetzt nicht erfunden, ging Montana in ihrem South of Market Apartment ständig so).

Der Tenderloin hat die letzten Jahrzehnte in seiner abgehalfterten, versifften aber irgendwie auch charmanten Art überstanden. Ob er auch den jetzigen Tech-Boom überstehen wird bleibt zu sehen. Denn im Kampf zwischen

San Francisco Tenderloin

Arm

und

San Francisco Tenderloin

reich

gewinnen meistens die Letzteren.

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